Vortrag von Dr. Egon Freitag, Weimar, am 2. Dezember 2014
ausführliche Fassung, mit ergänzenden Anmerkungen eines Vortrags in Gera
Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) war Deutschlands erster Bestseller-Autor, einige Zeitlang der meistgelesene und höchstbezahlte deutsche Schriftsteller. So zahlte ihm der Leipziger Verleger Reich für den Staatsroman „Der goldene Spiegel“ 633 Taler, während Goethe für sein Trauerspiel „Stella“ von seinem Berliner Verleger Mylius lediglich 20 Taler erhielt. Wielands Werke wurden zu dessen Lebzeiten bereits in 13 Sprachen übersetzt. Bleibende Verdienste erwarb er sich als Verseerzähler, Romancier, Übersetzer (Shakespeare), Herausgeber und Redakteur (Zeitschrift: „Der Teutsche Merkur“). Er verfasste das erste deutsche Singspiel, nämlich „Alceste“, und schuf als Autor des „Agathon“ den ersten modernen psychologischen Roman in Deutschland.
Er bereicherte den Wortschatz der deutschen Sprache zum Beispiel mit Elfe, Fee, Milchmädchen, Aufklärung, Staatsbürger, Fortschritt, Weltall, Sicherheitsklausel, Wortbrecher, Clique, heimatlos, schmerbäuchig, Teufelspförtner und viele andere. Er schuf auch das Sprichtwort: Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht – aus dem “Musarion”.
Er – und nicht Goethe – prägte auch zuerst den Begriff der Weltliteratur.
Er gab der deutschen Dichtkunst ihre leichte, geschmeidige und graziöse Gestalt. Erfrischend heiter wirken seine Verse heute noch, z. B.
“Ein Busen reizt, der jugendlich gebläht,
Die Augen blend’t und niemals stille steht.”
Herzogin Anna Amalia war begeistert vom Staatsroman “Der goldene Spiegel”, das die Fürsten zu Humanität und wohltätiger Staatskunst für ihre Völker verpflichtete. Er war Prinzenerzieher für die beiden Herzogssöhne, den Erbprinz Carl August und Constantin. Der junge Goethe konnte das Erscheinen des Versromans “Musarion” kaum erwarten, er besorgte sich bereits die Aushängebogen aus der Druckerei.
Wieland wurde als Sohn eines Pfarrers in dem oberschwäbischen Dorf Oberholzheim bei Biberach geboren. Die Familie zog nach Biberach. Er war Student an der Erfurter Universität. Dann sollte er in Tübingen Rechtswissenschaft studieren, verlegte sich aber auf die Dichtkunst. Hier verfasste er sein Erstlingswerk “Die Natur der Dinge oder die vollkommenste Welt”. Das 4000 Verse (Alexandriner) umfassende Gedicht erregte viel Aufsehen. Acht Jahre lebte Wieland in Biberach, lernte dort seine Verlobte, diespätere erfolgreiche Schriftstellerin Sophie la Roche (“Das Fräulein von Sternheim”) kennen. Die Verlobung ging allerdings in die Brüche. Er lebte auch eine Zeitlang in Zürich, bei dem berühmten Professor und Literaturkritiker Bodmer. Selbiger vertrat mit seinem Kollegen Breiting die Ansicht, die Poesie müsse das Schöne nicht allein im Verstand, sondern auch im Gefühl und in der Phantasie suchen. Dies stand den Auffassung des deutschen Literaturpapstes Gottsched schroff entgegen, der auf ästhetischen Regeln nach französischem Vorbild bestand.
Bei Bodmer verliebte sich die Dienstmagd Babet, “eine junge Dralle”, leidenschaftlich in Wieland. Nächtlich überfiel sie ihn in seinem Zimmer. Er rief Bodmer um Hilfe. Bodmer schilderte den Vorfall so: “Sie ward vor Liebe gegen den Faun zur Närrin. Er verriegelte jede Nacht sein Schlafzimmer und legte seinen rostigen Degen entblößt auf die Bettdecke, wenn sie auf ihn einbrach und ihn notzüchtigen wollte, um sich zu schützen.”
Wieland lebte auch eine Zeitlang in Bern, wo er als Hauslehrer tätig war und die geistreiche Patriziertochter Julie von Bondeli kennenlernte. Auch diese Verlobung war nicht von Dauer.
1760 wurde Wieland Senator und Kanzleiverwalter in seiner Heimatstadt Biberach. Er steckte dort zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Amtsschimmel und Pegasus. Oft steckte er bis über beide Ohren “in den muffigten Papieren” und stöhnte: “Wie können verse sich mit Akten vertragen?” Dennoch war es eine produktive Zeit. Er schuf dort die erste Shakespeare-Übersetzung (“Der Sturm”). Es war die erste Shakespeare-Aufführung in deutscher Sprache (1762).
Während eines Konzerts zum Cäcilienfest im November 1761 lernte er die 19-jährige Sängerin Christine Hogel kennen. Er war damals 28 Jahre alt, hatte mit ihr die erste wiklich sinnliche Liebesbeziehung.Er wollte sie heiraten, jedoch war er evangeisch, sie katholisch. Dies sorgte für einen Skandal.Auch als sie ein Kind von ihm bekam, führte dies nicht zur Aussöhnung. Er musste ihr entsagen.
1764 erschien Wielands erster Roman “Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva”. Er bezeugt den Wandlungsprozess von einem Schwärmer zu einem skeptisch-realistischen Beobachter und zu einem Aufklärer. Bodmer höhnte enttäuscht: “Wielands Muse ist eine Metze geworden, die sich dem leichtfertigsten Leser in die Arme wirft”. Die Dichter des “Göttinger Hains” zündeten während einer Klopstock-Feier ihre Fidibusse mit dem Papier des Wieland’schen Werkes an und verbrannten wohl auch ein Exemplar des Buches. Wieland galt als großer Sünder und Sitenverderber. Die Weimarer Kirchenzensur verbot anfänglich ebenfalls seine Werke.
Wieland setzte sich vehement für Sinnenlust und natürliche Sexualität ein. Und er war ein treu sorgender Ehemann und Familienvater. Mit seiner Anna Dorothea, einer Augsburger Kaufmannstochter, hatte er 14 Kinder, aber nur neun erreichten das Erwachsenenalter. Anna Amalia: “Wieland hat schon wieder taufen lassen.” 1797 zogen sie nach Oßmannstedt. Der “Agathon”, der erste Entwickungs-, also psychologische Roman, in aufklärerischer Absicht entsteht: “Ergetzen ist der Musen erste Pflicht, und spielend geben sie den besten Unterricht.”
Agathon, ein junger Grieche, gelangt nach einem wechselvollen Leben mit allerlei Missgeschicken schließlich zu ästhetischer Moralität, gebildeter Sittlichkeit, einer humanitären Haltung und zu geistiger Unabhängigkeit. Der Roman trägt autobiografische Züge.