Das Gefühl der Schönheit ist ein zartes Glück und in der Kunst bleibt es ungetrübt – Adele Schopenhauer
Vortrag von Francesca Müller-Fabbri, Weimar, am 4. Februar 2020
Adele Schopenhauer wird 1797 in Hamburg geboren und stirbt 1849 in Bonn, aber sie ist vor allem mit Weimar und im Besonderen mit Johann Wolfgang von Goethe verbunden. Im Herbst 1806 kommt sie mit ihrer verwitweten und vermögenden Mutter in die Stadt. Johanna Schopenhauer gelingt es hier, in den Kriegswirren der Schlacht von Jena und Auerstedt, ein neues geselliges Zentrum zu etablieren und fortan „die ersten Köpfe in Weimar und … Deutschland“ um ihren „Theetisch“ zu versammeln. Adeles ästhetisch-intellektuelle Bildung vollzieht sich gewissermaßen im Salon der Mutter, der zugleich von klassizistischen und romantischen Idealen geprägt ist. Sie lernt Italienisch, Französisch, Englisch, musiziert, deklamiert und malt. Im Salon verkehrten viele Intellektuelle, Bürgerliche, Adlige, Maler, Schriftsteller und andere Künstler. Goethe kam zweimal in der Woche. Vor allem Themen der klassischen Antike standen im Vordergrund. Adele war durchaus keine schöne, graziöse Erscheinung, was zu damaliger Zeit als ein großer Mangel empfunden wurde. Aus diesem Grunde wurde ihr Porträt gelegentlich in milderndem Sinne retuschiert, wie Vergleiche zeigen. In Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ wird sie ebenfalls karikiert. Dagegen zeigt der entsprechende DEFA-Film unter Regie von Egon Günther eine selbstbewusste Frau, die auch ihre erotische Freiheit lebt, was allerdings nicht Gegenstand des Romans ist.
Eine Freundin Adels war Ottilie von Pogwisch, die spätere Schwiegertochter Goethes, Adele bezeichnete sie als „ihre Schwester“. „Der Vater“ – Goethe – lobte ihre schönen Scherenschnitte. Künstlerisch bildete sich Adele autodidaktisch aus. Ein Scherenschnittthema ist „Die Einsiedelei des Kandu“, die aus ihren Studien in der Indischen Bibliothek des August Wilhelm Schlegel entstand. Es sind stets Traumbilder. Immer beschäftigt sie sich mit literarischen Themen, verändert aber Literatur in ihren Bildern. Dies trifft auch auf das „Hochzeitslied“ von Goethe, ein Gelegenheitsgedicht, zu. Goethe hat an der Produktion der Scherenschnitte auch unmittelbar teilgenommen. Er schrieb auch ein Gedicht für Adele. Er hat Adele sehr gemocht, sie war sein Liebling. So entstand auch das Gelegenheitsgedicht „Zarte Schattengebilde, fliegt zu eurer Künstlerin …“.
Aufgrund finanzieller, familiärer und gesellschaftlicher Probleme entschließt sich Adele Schopenhauer nach zwei Jahrzehnten, Weimar zu verlassen, um ab 1829 sommers in Unkel am Rein und winters in Bonn zu wohnen. Die enge Beziehung zum „gütigen Vater“ Goethe lebt in Briefen fort, die von emotionaler Nähe zeugen und vielerlei Themen berühren. Adele schreibt über ihre Ausbildung im Zeichnen, teilt Lektüreeindrücke, gibt Nachrichten vom Bonner Universitätsleben und aus naturwissenschaftlichen Kreisen. Überdies vermittelt sie Mineralien, Altertümer, Bücher und Radierungen, die Eingang in seine Sammlungen finden. Im Gegenzug darf sie um Autographen und Medaillen bitten. Goethe antwortet stets interessiert und ermunternd, wünscht weitere Briefe und hofft: „Möge es unter uns noch lange beim Alten bleiben“.
In Unkel lässt Adele ein Bild ihres Häuschens anfertigen, damit sich der „liebe beste Vater” in Weimar den neuen Wohnort vor Augen führen kann. Bis an sein Lebensende bleiben sie miteinander vertraut.
Erste literarische Versuche sind „Die Tagebücher“ und das Märchen „Farben und Töne“.
Ab 1815 brechen wieder schwere Zeiten an. Die Aristokratie herrscht erneut in Weimar, die Offenheit, wie sie zwischen 1806 und 1815 herrschte, ist vorbei. Die beiden Schopenhauer-Frauen dürfen nicht mehr am höfischen Leben teilnehmen.
1819 macht das Bankhaus bankrott, in dem Johanna Geld angelegt hatte. Beide Frauen sind plötzlich arm, Arthur allerdings nicht. Er hat sein Geld in verschiedenen Unternehmungen angelegt. Adele befällt eine starke Depression. Sie schreibt unter dem Pseudonym Leo, zum Beispiel „Tagebuch einer Einsamen“ und ebenso das Märchen „Farben und Töne“. 1826 zieht sie nach Unkel am Rhein. Dort ist es klimatisch günstiger als in Weimar. Statt in einem Palast wohnt sie jetzt auf einem Bauernhof, den ihr ihre Freundin Sibylle Merten-Schaaffhausen verschafft hatte. Sie schreibt nun als Autorin unter den Pseudonymen Viator, Alma, Adrian van der Venne. So entsteht zum Beispiel „Der Nachtfalter und das Sonntagskind“. Es ist ein Märchen und spielt in Beethovens Geburtshaus. Unter Pseudonaym zu schreiben, gewährte den Autorinnen nicht nur Schutz (ohnehin galt es als verpönt, wenn sich Frauen literarisch betätigten), sondern auch eine enorme Freiheit. Ihr Liebesgedicht „Inneres Bangen“ wurde in einer Zeitschrift publiziert. Sie verlobte sich mit Gottfried Osen, doch der war arm, daher gab es auch keine Hochzeit. Er wollte nicht Arzt sein, entschloss sich dagegen, Künstler zu werden.
Jetzt pflegte Adele das Genre der Arabeske. Dies bot eine schöne Gelegenheit, denn Frauen durften keine Akademien besuchen, das sie ja dort auch Männerakte hätten zeichnen müssen, was undenkbar war. Auch Porträts und Historienmalerei blieb ihnen versagt. Aber Abaresken, Grotesken, die Darstellung von Blumen und Insekten und anderem Getier blieb ihnen erlaubt.
Johanna verfolgte eine tolle Idee. Sie bat Großherzog Carl August um eine „Hofrente“; ihr Salon hätte Weimar ja berühmt bemacht, so ihre Begründung. Dem wird 1837 zugestimmt. Allerdings muss das Geld im Herzogtum ausgegeben werden
Nach dem Tod ihrer Mutter lebt Adele ihre Freiheit aus. Sie unternimmt Reisen und pflegt eine intensive Korrespondenz mit Goethes beiden Enkeln. Für Opern von Wolfgang von Goethe arbeitet sie als Librettistin und für Wolfgang Maximilians Drama „Die Ilmnixe“ als Dramaturgin, dies wird jedoch nicht erwähnt. Es ist bereits eine emanzipatorische Geschichte, bereits im Sinne des Vormärz geschrieben. Auch betätigt sich Adele als Kunst- und Literturkritikerin für verschiedene deutsche und englische Zeitschriften. Erzählungen und Gecihte erscheinen im Jenaer „Frauen-Spiegel“; einer Zeitschrift, die ausschließlich Frauenthemen behandelte und auch von Frauen mit Texten versorgt wurde. Sie illustrierte Notenblätter mit Arabesken, aber auch Alben, die zu damaliger Zeit sehr in Mode kamen. Sie übte sich gleichfalls im Kupferstich. Ihre Grotesken, „les fleus animees“, sind bereits visionäre Elemente, sie waren um 1840 schon sehr modern.
Es bahnte sich eine Freundschaft mit der Dichterin Annette Droste von Hülshoff an. Die drei Frauen, Droste, Schopenhauer und Merten-Schaaffhausen verlebten eine Zeit am Rhein.
1842 wird ihre Freundin Sibylle Witwe. Nach dem obligatorischen Trauerjahr zieht es sie sofort nach Italien, und sie nimmt Adele mit. Hierzu braucht Adele Geld, sie verkauft Texte, die erstmals unter ihrem Namen bei Brockhaus verlegt werden. Dies sind die Haus-, Wald- und Feldmärchen. Es erscheint der emanzipatorische Roman „Anna“. In Italien verfasst sie auch einen Reiseführer „Florenz“, speziell für Frauen. Auch ein dänischer Reiseführer erscheint, da sie mit einer Gruppe Dänen in Rom bekannt geworden ist. Sie korrespondiert für verschiedene eruopäische Literaturzeitschriften und Kunstjournale, besucht die Bibliohek des Vatikan und beschäftigt sich mit Dante.
Sie erkrankt lebensgefährlich in Florenz, kehrt nach Deutschland zurück, möchte wieder nach Italien, doch sie stirbt.
Symbolisch gedeutet für die Beziehung zwischen Goethe und Adele Schopenhauer wurde auch der 28. August 1849, der 100. Geburtstag des „theuren Vaters“, an dem Adele Schopenhauer auf dem Alten Bonner Friedhof beigesetzt wurde. Ottilie von Goethe kann gegenüber der gemeinsamen Freundin Sibylle Mertens-Schaaffhausen nur bemerken:
„Während man in Deutschland jubelt, schreibe ich dir mit einem Herzen zerissen von Weh.“
Sibylle nimmt das schicksalshafte Datum zum Anlass, um eine besondere Gedenkmedaille an Freundinnen und Freunde zu verschenken. Sie ließ die im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main angefertigte Münze „Zu Göthe‘s hundertjähriger Geburtsfeier am 28 August 1849“ mit der zusätzlichen Gravur „wurde in Bonn begraben Adele Schopenhauer“ versehen und verteilen.
Francesca Müller-Fabbri und Claudia Häffner kuratierten 2019 im Auftrag der Klassik-Stiftung Weimar die Ausstellung „Weil ich so individuell bin“ im Goethe- und Schiller-Archiv.