Frühlingsausflug der Goethegesellschaft
Von Erika Seidenbecher
Der Frühlingsausflug der Goethegesellschaften Gera und Erfurt vom 24-28. April war eine Bildungsreise, die nach Kamenz, Bautzen, Cottbus, Frankfurt/Oder, Landsberg an der Warthe (Gorzow Wielkopolski), Neutornow und nach Bad Freienwalde führte. Unser Ziel war es, Wohn- und Wirkungsstätten bekannter Persönlichkeiten kennen zu lernen.
Wir fuhren durch das vielgestaltige Hügelland der Oberlausitz, sahen Teiche, Wälder und sattgrüne Wiesen, blühende Bäume und die unverfälschte Natur der Ober- und der Niederlausitz.
Unser erstes Ziel war die Lessingstadt Kamenz, die sorbische Stadt am Hutberg, in der der bedeutende deutsche Dichter, Gotthold Ephraim Lessing am 22. 01.1729 geboren wurde. Im Museum wurden wir nicht nur mit der Biographie Lessings bekannt gemacht, sondern auch mit dem Verhältnis Lessings zum Theater. Seine Theatermodelle, Entwürfe von Bühnernbildern und Kostümen und Auszüge aus seiner „Hamburgische Dramaturgie“ sind interessante Anschauungsobjekte. Interessant war auch, dass Goethe als Jugendlicher über den um 20 Jahre älteren Dichter lächelte und später tief bereute, dass er keinen Kontakt zu Lessing gesucht hatte. Über Lessings Gedanken der Toleranz, den er im „Nathan der Weise“ zum zentralen Thema erkor, sollten wir gerade heute gründlich nachdenken.
Wir fuhren weiter nach Bautzen. Die „Stadt der Türme“ an der Spree ist die zweitgrößte Stadt der Oberlausitz und politisches und kulturelles Zentrum der Sorben. Die Vorfahren der Sorben, die slawischen Lusitzen, kamen zur Zeit der Völkerwanderung in dieses Gebiet, das nach ihnen benannt ist. Die Lausitz ist eine Region, in der Sorbisch und Deutsch als gleichberechtigte Sprachen nebeneinander existieren.
Die Altstadt von Bautzen erhebt sich auf einem Granitfelsen, umflossen von der Spree. Auf einem Stadtrundgang sahen wir den Kornmarkt, den St. Petri-Dom, das barocke Rathaus, schöne barocke Bürgerhäuser, das Domstift, das Schloss, die Ortenburg, das Sorbische Museum und das Deutsch-Sorbische Volkstheater. Im St.-Petri-Dom sahen wir das Licht-Kreuz als ein zentrales Symbol des christlichen Glaubens. Es steht für den Leidensweg Jesu und schließt gleichzeitig jegliches Leid der Menschheitsgeschichte ein. Andererseits steht das Kreuz für die Hoffnung, dass das Leben stärker ist als der Tod, das Licht ausdauernder als die Dunkelheit.
Überall in Bautzen wurden wir an das vergangene Osterfest erinnert. Wir sahen den österlich geschmückten Brunnen auf dem Markt, wunderschöne bemalte Ostereier (Ätz-, Ritz-, Wachstechnik), hörten etwas über das Osterreiten, das Schöpfen des Osterwassers und das Ostersingen. Der Stadtrundgang war gleichzeitig eine Reise in die Vergangenheit der Stadt, als die Stadt an der großen Handelsstraße Via Regia lag.
Unsere Fahrt ging weiter zur Universitätsstadt Cottbus (sorbisch: Chosebuz), der kreisfreien Stadt in Brandenburg. Cottbus gilt als politisches und kulturelles Zentrum der Sorben in der Niederlausitz. Die Stadt liegt an der mittleren Spree. Im Gebiet von Cottbus siedelten ab dem 7. Jahrhundert die Lusitzen. 1156 wurde die Stadt erstmals urkundlich erwähnt. Die Besitzverhältnisse wechselten recht oft. 1701 gründeten die Hugenotten in Cottbus eine französische Kolonie. Mit dem Pflanzen der ersten Maulbeerbäume im Jahr 1718 hielt die Seidenraupenzucht Einzug. So wurde Cottbus schon während der Gründerzeit zu einer Stadt der Textilindustrie und des Textilmaschinenbaus. Zur Zeit der DDR wurde das Gebiet um Cottbus zu einem wichtigen Kohle- und Energielieferanten. Mit dem Bus fuhren wir durch die große 15 qkm große Stadt. Die Altstadt erkundeten wir zu Fuß.
Auf dem Markt findet zweimal im Jahr der Wochenmarkt statt. An 1304 Marktständen bieten Händler heimische Produkte an. Eine Glocke verkündet Beginn und Ende des Markttages.
Wir besichtigen den Spremberger Turm und die jüdische Synagoge.
Am Nachmittag fuhren wir zum Branitzer Park. Fürst Pückler erbte das Schloss Branitz und gestaltete einen der schönsten Parks Deutschlands. Fürst von Pückler-Muskau war Generalleutnant, Landschaftsarchitekt, Schriftsteller und Weltreisender und seinerzeit ein bekanntes Mitglied der gehobenen Gesellschaft.
Der Innenpark stellt, im Gegensatz zum reich geschmückten Pleasureground (ein an das Haus stoßendes, geschmücktes, eingezäuntes Terrain, Verbindungsglied zwischen dem Park und Gärten) eine „zusammengezogene idealisierte Natur“ dar. Pückler ließ dazu Seen und Kanäle ausheben und Hügel modellieren, sodass aus der ursprünglich flachen Ebene ein natürlich wirkendes Relief entstand. Im Zentrum des Parks liegt das Barockschloss Es zeigt in historisch ausgestalteten restaurierten Räumen die Wohnwelt des Fürsten Pückler.
Wir fuhren an diesem Tag noch nach Frankfurt. Am Abend besuchten wir das Kabarett „Oderhähne“. Die Aufführung von „Mat(ts)chos mögens heiß“, war ein Genuss. Eines haben die Kabarettisten auf jeden Fall mit dem Frankfurter Wappen-Hahn gemeinsam: Den spitzen Schnabel und die scharfen Krallen.
Am Morgen des 26. April unternahmen wir eine Stadtführung durch die Universitätsstadt Frankfurt , die in früheren Jahren der Hanse angehörte. Der Rundgang begann im Gertraudenpark an der Lindenstraße. Dort sind die Grabmale für Ewald von Kleist und Heinrich von Kleist zu sehen.
Ewald Christian von Kleist war ein deutscher Dichter und preußischer Offizier. Er studierte in Fankfurt/Oder und in Königsberg und diente im Regiment des Prinzen Heinrich von Preußen. Als Friedrich II. im Siebenjährigen Krieges gegen die russisch-österreichischen Armee kämpfte und eine Niederlage erlitt, zerschmetterte eine Kartätschenkugel das rechte Bein von Ewald von Kleist. Er starb an seinen Verwundungen und wurde in Frankfurt begraben.
Das wichtigste Denkmal Frankfurts ist jedoch dem bekanntesten Sohn der Stadt, Heinrich von Kleist, gewidmet. Es wurde 1910 vom Berliner Künstler Gottlieb Elster geschaffen.
Mit Frankfurt sind auch die Namen anderer Persönlichkeiten verbunden:
Der Komponist Michael Praetorius war einige Jahre in Frankfurt zu Hause. Er studierte Theologie und Philosophie an der Universität in Frankfurt/Oder, nebenbei war er als Organist an der Universitätskirche tätig. 1590 verließ er, ohne abgeschlossenes Studium, Frankfurt.
Zu nennen sind auch die Brüder Alexander und Wilhelm Humboldt, die einen Teil ihres Studiums in Frankfurt absolvierten.
Auch Carl Emanuel Philipp Bach immatrikulierte sich 1734 an der Brandenburgischen Universität Frankfurt und war Mitglied des dortigen Collegiums musicum. Als Kammercembalist Friedrichs II. unterrichtete er in Berlin den jungen Herzog Carl Eugen von Württemberg Ihm widmete er die sechs Württembergischen Sonaten für Cembalo (Nürnberg 1744), nachdem er zuvor seine sechs Preußischen Sonaten Friedrich II. zugeeignet hatte.
Während der Stadtführung sahen wir in Frankfurt die Oberkirche St. Marien. Das Kirchengebäude, die ehemalige Hauptpfarrkirche der Stadt, gehört zu den größten Gebäuden der norddeutschen Backsteingotik. Eine Besonderheit sind die drei großen Bleiglasfenster. Interessant ist auch das Rathausgebäude mit dem Uhrenturm und der Oderturm. Der Fisch aus dem Jahre 1454, der zum Wahrzeichen der Stadt wurde, hängt über dem südlichen Schmuckgiebel des Rathauses. Er symbolisiert das Recht der „Höhung“ in den Heringsfässern.
Unser Interesse galt aber dem Kleistmuseum. Der am 18. Oktober 1777 in Frankfurt geborene Dichter ist bekannt durch seine Schauspiele: „Das „Käthchen von Heilbronn“, „Der zerbrochene Krug“, „Amphitryon“ und der Novelle „Michael Kohlhaas“. Der „Zerbrochene Krug“ wurde durch Goethes Vermittlung in Weimar uraufgeführt. Der Schauspieler, der Adam spielte, wurde seiner Rolle nicht gerecht. Außerdem war das Drama damals zu lang. Kleist war tief enttäuscht, denn die Aufführung wurde ein Misserfolg und der Dichter meinte, Goethe sei daran schuld. Kleist studierte an der Brandenburgische Universität in Frankfurt, brach aber das Studium ab und trat in die Preußische Armee ein. Der Militärdienst war ihm aber unerträglich geworden. Deshalb quittierte er den Dienst und nahm seine Studien wieder auf. Danach arbeitete er als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin. Er reiste viel, suchte einen Halt im Leben, aber seine Ideale stimmten mit der Wirklichkeit nicht überein. Er war ein Mensch, der ständig innerlich unzufrieden war. Seine Zerrissenheit äußert sich auch in seinen Werken. 1811 fuhr er mit Henriette Vogel zum Kleinen Wannsee und erschoss Henriette und sich selbst. Die Abschiedsbriefe der Beiden zeugen davon, dass es ein Freitod war.
Nach der Besichtigung des Museums spielte Dieter Schumann, Geschäftsführer der Erfurter Goethe-Gesellschaft, auf einem Flügel Werke von Beethoven. Am Nachmittag fuhren wir noch zu dem Basar im polnischen Slubice.
Am nächsten Tag, am 27. April, fuhren wir nach der polnischen Stadt Gorzow Wielkopolski an der Warthe, die 70 km von Frankfurt entfernt ist und zu deutsch Landsberg hieß. Während der Busfahrten erfuhren wir auch, dass Ulrich von Hutten einen Teil seines Studiums in Frankfurt absolvierte und hier 1506 sein Bakkalaureat ablegte. Er schrieb das Gedicht „Lob der Mark“, ein Loblied auf die Mark Brandenburg.
Wir erfuhren, dass Christa Wolf 1929 in Landsberg an der Warthe als Tochter der Kaufleute Otto und Herta Ihlenfeld geboren wurde. Sie besuchte dort bis kurz vor Kriegsende die Schule. Nach der Flucht vor den anrückenden Truppen der Roten Arme fand die Familie 1945 vorerst in Mecklenburg eine neue Heimat. Christa Wolf arbeitete als Schreibhilfe beim Bürgermeister des Dorfes Gammelin bei Schwerin. Sie beendete die Oberschule 1949 mit dem Abitur in Bad Frankenhausen. Von 1949 bis 1953 studierte sie Germanistik in Jena und Leipzig. Ihre Diplomarbeit schrieb sie zum Thema: Probleme des Realismus im Werk Hans Falladas. Während der Busfahrt hatte uns Karin Volkmer schon mit dem Leben und Wirken der Dichterin vertraut gemacht. Sie las uns aus dem Roman „Kindheitsmuster“ der Dichterin vor, das autobiographische Züge trägt.
Auch das Leben des Dichters Gottfried Benn ist mit Brandenburg verbunden. Er besuchte das Gymnasium in Frankfurt/Oder und war während des II. Weltkrieges in der Kaserne in Landsberg stationiert. Hier schrieb er u.a. seinen Roman „Roman des Phänotyp“(1943).
Zu nennen ist auch der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher (1768-1834), der von 1794-1796 Hilfsprediger in Landsberg/Warthe war. Als Hegelianer war er Vertreter der Dialektik. Aber auch der Religion maß er große Bedeutung zu. Sie gehört nach seiner Ansicht genauso zum Menschen wie das Denken und das moralische Handeln.
Sohn der Stadt Landsberg ist auch der Romanist und Politiker Victor Klemperer, der 1881 hier geboren wurde. Als Überlebender des Holocaust war er ein wichtiger Chronist und Zeitzeuge der Jahre vor und während der Nazizeit. In der DDR war er Vertreter des Kulturbundes und Abgeordneter der Volkskammer. Er starb 1960 in Dresden.
In Landsberg hatten wir eine Führung durch die Stadt, in der zur Zeit die Straßenbahnlinien erneuert werden. Dadurch ist die Stadt gegenwärtig ein einziger Bauplatz. Die Führung begann im Stadtpark. Dort befindet sich auch eine Skulptur, die die Autorin Christa Wolf in sitzender Position zeigt. Der Stadtführer erzählte uns, dass Christa Wolf nach der Wende Landsberg besuchte und der Stadt ihren polnisch geschriebenen Roman„Dziecinstwo“ (Kindheitserinnerung) überreichte.
Die Stadt gehört seit dem Wiener Kongress zu Brandenburg. Die Gemeinde ließ Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Plänen des Berliner Architekten Carl Tietz, eine Synagoge im byzantinischen Stil errichten, die in der Kristallnacht von den Nazis niedergebrannt wurde. Heute erinnert nur noch ein Gedenkstein an die Synagoge. Zu den Sehenswürdigkeiten gehören: Der Dom St. Marien aus dem späten 13. Jahrhundert, die Konkordienkirche von 1776, die wegen ihrer Außenfarbe auch Weiße Kirche genannt wird. Nach dem II.Weltkrieg wurde sie umgestaltet und als Teil eines Klosters erweitert. Sehenswert ist auch das Historische Speichergebäude auf der gegenüberliegenden Warthe (heute Museum) und die Uferpromenade an der Warthe. Genannt werden sollte auch der Paucksbrunnen auf dem Marktplatz von 1897.
Am Sonntag, dem 28.04.2019 fuhren wir noch nach Neutornow und Bad Freienwalde. Neutornow gehört zu Bad Freienwalde. Auf dem Kirchhof, südlich der Kirche, die hoch über dem Ort liegt, befindet sich die Grabstätte des Vaters von Theodor Fontane. Nach dem Besuch des Grabes fuhren wir noch nach dem Moorbad Bad Freienwalde und besichtigten die spätgotische Kirche. Danach fuhren wir zurück in die Heimat. Unser Ausflug war verbunden mit Lesungen, musikalischen Darbietungen, Gesang und Frohsinn.
Dank allen, die die Reise so umsichtig und präzise vorbereitet haben. Dank auch unserer Busfahrerin, die nicht nur für eine sichere Fahrt sorgte, sondern auch für unser leibliches Wohl. Es war eine sehr gut organisierte und interessante Bildungsreise, die allen Teilnehmern gut gefallen hat.