Böhmenausflug vom 9. bis 12. April 2015
Unser Ausflug auf den Spuren Böhmens führte uns zunächst nach Cheb (Eger). Dort besichtigten wir den historischen Marktplatz. Im Wendlhaus war Goethe seinerzeit zu Gast bei Polizeirat Joseph Grüner. Er war nicht nur ein tüchtiger Polizist, der Räuberbanden im Kaiserwald das Handwerk legte, sondern auch ein eifriger Sammler von Naturalien. So fand er in Goethe einen sachkundigen und lobenden Kenner. Beide führten intensive Gespräche. Goethe besuchte auch den letzteren Egerer Scharfrichter Huß, besichtigte insbesondere dessen Münzsammlung. Andere „Utensilien“ von Huß konnten wir später besichtigen, sie jagten uns einen Schauer über den Rücken: Folterwerkzeuge wie Daumenschrauben und das Richtschwert.
Nun folgte gleich der Höhepunkt unserer Reise: Marianske Lazne (Marienbad). Anlaufpunkt war das Goethe-Museum, wo wir zu einer Führung erwartet wurden. Hier besichtigten wir die drei Räume, die Goethe 1823 zur Verfügung standen: Arbeits- und Schlafraum sowie das seinem Sekretär John vorbehaltene Zimmer. Goethe beschäftigte sich intensiv mit den um Marienbad vorkommenden Mineralien; zahlreiche Badegäste begleiteten ihn auf seinen Touren. Im Hause wurden die Gesteinsproben verpackt, nach Jena, zu Abt Reitenberger ins Prämonstratenserkloster Tepl oder zu Goethes Altersfreund Sternberg nach Prag geschickt, der dort gerade das Nationalmuseum einrichtete. In Aufsätzen befasste sich Goethe mit der Mineralogie des Marienbader Landes. Auch einfache Leute, so ein Bergmann aus Dreihacken, lieferte interessante Stücke. Dieser biedere Mann, der schöne Augiten brachte, erfreute sich höchsten Lobes des Weimarer Dichterfürsten.
Am Abend saßen wir im Bohemia-Hotel (Zuckerbäckerstil) noch in geselliger Runde zusammen.
Der nächste Tag begann mit einer wunderschönen Wanderung im Hochmoor von Kladska. Ein Plankensteg führte uns rund um einen See, an romantischen Baumgruppen vorbei, und wir konnten schon ahnen, dass hier alsbald seltene Orchideen, vielerlei Wollgrasarten, Rauschbeeren, Heidel- und Moosbeeren und noch zahlreiche andere Pflanzen verschiedener Arten blühen würden. Diese kleine, etwa zwei Kilometer lange, bequeme Wanderung hat allen gut gefallen.
Das Goethe-Restaurant in Frantiskovy Lazne (Franzensbad) war gar nicht so leicht zu finden. So hatten wir unser Mittagessen nach einiger Suche redlich verdient.
Die weitere Fahrt führte zu Schloss Kynzvart. Es gibt zwar keine direkte Verbindung zu Goethe, aber historisch interessant ist dieser Bau dennoch. Schließlich diente es als Sommerschloss keinem Geringerem als Metternich. Wir erhielten einen Eindruck von diesem großen Politiker und Diplomaten des 19. Jahrhunderts und seiner weit verzweigten Familie. Dabei zeigte sich, dass dieser Mann durchaus nicht nur der Stockreaktionär war, als den man ihn kennt, sondern ein ebenso gebildeter, geistreicher Gestalter seiner Zeit. Die Kunstsammlungen sind imposant. Wertvolle Altartafelbilder, eine französische Tapisserie aus der Renaissancezeit, frühbarocke Portraits und auch etliche Kuriosa sind dort zu besichtigen.
Einige von uns hatten ein hübsches Lokal mit böhmischer Küche ausgemacht, so wurde es wieder ein vergnüglicher Abend.
Am Sonnabend fuhren wir nach Teplice (Teplitz). Da lernten wir durch das Busfenster die schöne nordwestböhmische Landschaft kennen, freilich auch einige Kohlekraftwerke, die sicherlich nicht zu einer positiven Ökobilanz beitragen.
Die Führung im Schloss Teplice – ein sehr schöner Ort übrigens – war recht interessant. Wir besichtigten das sehenswerte Interieur, so den Renaissancesaal mit der bemalten Kassettendecke, den Rokokosaal mit seiner üppigen Stuckdekoration sowie viele andere Einrichtungsgegenstände. Lange Zeit befand sich das Schloss im Besitz der Famiie Clary-Aldringen. Sie wurde 1945 enteignet und vertrieben. Seitdem befindet es sich in Staatsbesitz, was dem Bau durch umfangreiche Instandhaltungs- und Restaurierungsarbeiten im Übrigen nicht schlecht bekommt.
Bedeutende Üersönlichkeiten weilten in seinen Mauern, so Prinz Charles Joseph de Ligne, Giacomo Casanova, Frederic Chopin und Franz Liszt. Im Jahres 1812 begegneten sich Goethe und Beethoven im Schlossgarten. Leider erfuhren wir trotz Nachfrage von unserem Museumsführer nicht viel Neues. Dies bedarf also eines informativen „Nachschlags“.
Im „U zlote koule“ (Bei der Goldenen Kugel) ging es am Abend recht ausgelassen zu. Mag sein, dass der auf sein vornehmes Renommee bedachte Chef unser fröhliches Treiben ein wenig kritisch beäugte, so ließen wir uns davon nicht stören. Das Essen war übrigens super, das Restaurant für Marienbad-Besucher sehr zu empfehlen.
Am Sonntagmorgen bestiegen wir den Komorni horka (Kammerbühl), der Goethe zu tiefgreifenden Betrachtungen veranlasste. Wie kam dieser Basaltberg in diese Gegend? Er vermutete zu Rehct, dass er vulkanischen Ursprungs sei, besprach diese Hypothese mit Sternberg und dem schwedischen Naturforscher und Chemiker Berzelius. Würde man einen Stollen in den Berg treiben, so müsste man auf die einst hoch geschossene Basaltsäule stoßen. Den Eingang dieses Stollens konnten wir besichtigen. Ein Dreiecksgiebel mit dem Namen Sternbergs, aber auch ein Goethe-Porträt hoch oben in der Felswand erinnern noch heute an diesen Disput.
Auf der Rückfahrt entdeckten wir, dank hartnäckiger GPS-Nachforschung unseres Busfahrers Uwe, endlich auch den Goethefelsen bei Hazlov (Haslau). Er befindet sich hinter einer Leitplanke und ist so klein, dass wir ihn auf der Herfahrt glatt übersehen hatten, obwohl wir uns regelrecht die Augen ausschauten. So war auch dieser Punkt unserer Fahrt erfüllt.
Als Fazit können wir jedoch auch ziehen: Diese Reise verlief nicht nur recht lehrreich, sie hat auch die beiden Goethe-Ortsvereinigungen in Erfurt und Gera ein ganzes Stück näher gebracht. Die „Chemie“ stimmt!
Bei unserer Besichtigung in Teplitz erfuhren wir leider zu wenig von der Begegnung Goethes und Beethovens. Hanns Stahmer stellte uns während der Tagung der Ortsvereinigungen in Hannover auf unsere Anfrage hin dankenswerterweise einen Auszug aus seinem noch unveröffentlichten Mansukript „Goethe und die Musik“ zur Verfügung.
Goethe und Beethoven lernen sich auch noch persönlich kennen: Es kommt zur denkwürdigen Begegnung der Beiden im Kurort Teplitz am Südrand des Erzgebirges. Die Wege der Beiden kreuzen sich dort fast zufällig. Kurz nach seiner Ankunft im Juli 1812 besucht Goethe den dort bereits weilenden kränklichen Beethoven und erkennt sogleich dessen starke Persönlichkeit. Sie unternehmen einen gemeinsamen Spaziergang und es kommt dann auch noch zu einem Treffen, bei dem Goethe Beethoven als Pianisten erleben kann. Beide äußern sich anschließend distanziert. Beethoven erlebt jetzt den von ihm seit seiner Kindheit so verehrten Dichter als höflich-korrekten „Geheimrat“, und nachdem Goethe die
wahrscheinlich eruptiven Klavierimprovisationen Beethovens miterlebt hat, vermerkt er immerhin nur kurz und trocken in sein Tagebuch: „köstlich gespielt“.
Der französische Schriftsteller und Musikkritiker Romain Rolland resümiert: „Ohne Zweifel hat Goethe, der ein Urteil über die Musik scheute, den Komponisten zu seiner Fingerfertigkeit, seinem perlenden Spiel beglückwünscht und sich von der Musik gerührt und ergriffen gezeigt. Aber ein ästhetisches Urteil darüber, wie Beethoven es von einem Goethe erwartet hatte, kam nicht über seine Lippen, weil Goethe im Grunde – nichts davon verstand – Beethoven brach in Zorn aus…“
Beethoven schreibt an Bettina von Arnim:
„Dem Goethe habe ich meine Meinung gesagt, wie der Beifall auf unsereinen wirkt, und dass man seinesgleichen mit dem Verstand gehört sein will, Rührung passt nur für Frauenzimmer (verzeih mir’s), dem Manne muss die Musik Feuer aus dem Geist schlagen.“
Und dann folgt zuletzt – und wohl auch als deutlichster Hinweis auf die große Verschiedenheit der beiden großen Meister – der berühmte, aber nicht zweifelsfrei belegbare Spaziergang in Teplitz, bei dem Beethoven Goethe demonstriert, wie man dem Hohen Adel ohne Unterwürfigkeit und ohne tiefe Verbeugung begegnet: Während Goethe zur Seite tritt und, sich tief verbeugend, artig den Hut zieht, geht Beethoven mit untergeschlagenen Armen mitten durch die ganze fürstliche Gesellschaft, als diese sich zufällig auf der Landstraße begegnen. Dann wartet Beethoven auf den nachkommenden Goethe und belehrt ihn, er habe denen zu viel Ehre angetan. Dem Freund Zelter beschreibt Goethe seinen neu gewonnenen Eindruck am 2. September 1812 so:
„Beethoven habe ich in Teplitz kennen gelernt. Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel (verabscheuungswürdig) findet, aber sie dadurch freilich weder für sich noch für andere genussreicher macht.“
Selbst wenn dieser Vorgang nicht in Teplitz, sondern vielleicht am 8. September 1812 in Karlsbad stattgefunden haben sollte und gelegentlich auch einfach als Anekdote abgetan wird: die daraus erkenbar unterschiedliche Einstellung der Beiden wird sicher zutreffend veranschaulicht.