Vortrag von Prof. Dr. Stefan Matuschek, Jena
Die Romantik war ein wahrer Innovationsschub in der europäischen Literatur. Prof. Matuschek führte hierzu als Beispiel Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“ an. Es nimmt Bezug auf Platons „Seelenmythos“ in seinem „Phaidos“. Bemerkenswert ist hierbei der Konjuktiv, in den das Agieren der Seele versetzt wird: „… als flöge sie nach Haus“.Der Konjunktiv liefert die Gewissheit, dass für uns die Welt auf Trost und Ruhe hinauslaufen kann.
Das Neue daran: Es sind zwar nur Vorstellungen, dennoch sind sie durchaus wirksam. Menschen leben auch in ihrer Einbildungskraft. Sie fragen sich zum Beispiel: Gibt es ein Schicksal? All diese Fragen können nicht durch unsere Vernunft beantwortet werden. Somit liegt die Romantik zwischen Relität und Vorstellungskraft.
Nach dem Topos der Aufklärung dürfen jedoch Wirklichkeit und Vorstellung nicht miteinander verwechselt werden. Nach ihr gibt es Realisten und Schwärmer. Die Romantik schafft jedoch einen dritten Topos, dass sie nämlich in der Vorstellung lebt und dabei Lebenswirklichkeit wird.. Sie schafft eine Heimat und richtet den Blick in die Unendlichkeit. Die Spannung zwischen Realität und Vorstellung gerät zu einem kontinuierlichen Thema in der Weltwahrnehmung. Es handelt sich um eine religiös geprägte Naturwahrnehmung, die die Natur als Gottheit verehrt. Wir versuchen, das Unendliche zu denken, es uns vorzustellen. Dabei erleiden wir „süßen Schiffbruch“.
Es geht also immer um die ganz großen Fragen. Es entfaltet sich ein großes Sinnbedürfnis, das empirisch nicht zu befriedigen, noch rational zu überprüfen ist. Somit gerät der Mensch in „metaphysische Obdachlosigkeit“. Die Romantik will genau diese Obdachlosigkeit aufheben. Die natürliche Religiosität kennt dabei keinen Fanatismus wie in anderen Religionen, wo deren fundamentalistsche Protagonisten genau zu wissen meinen, was Gott verlangt.
Die Romantik gestaltet die Wirklichkeit anders. Sie erfasst ebenso das Wunderbare. Das Wunderbare wird dabei nicht hinterfragt, es ist selbstverständlich da.
Goethe erwies sich als wichtiger Anreger der europäischen Romantik. Sein „Erlkönig“ gehört ebenso hierher. Ein weiteres wichtiges Beispiel romantischen Gedankenguts ist E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“. Der Junge Nathanel verbindet das Erscheinen eines alten Mannes stets mit der Forderung, er müsse ins Bett, da der Sandmann erscheine. Er fragt nun, wer der Sandmann sei. Seine Wärterin antwortet ihm, dies sei ein großer Raubvogel, der zu frechen Kindern komme, die nicht ins Bett wollen, und der picke ihnen die Augen aus.
Die literarische Romantik simuliert die Lebenswelt. Man lebt in seinen Vorstellungen. Aber dieses Leben kann mitunter pathologisch sein, wie der „Sandmann“ beweist.
Einher geht auch eine Wiederbelebung des Mittelalters. Walter Scott hat diese Literatur des historischen Romans mitbegründet. Somit sorgte die Romantik für eine Erfolgsgeschichte des Romans. Der Prosaroman kommt ohne Theorie aus, schuf aber auch den Briefroman, in dem erstmals auch unglückliche Liebe gestaltet wird. Friedirch Schlegel meinte, es handele sich um eine Epoche wie in einem Roman. Wieland gebraucht diese Wendung. Abenteuer- und Ritterromane bekommen Konjunktur. Es ist ein Aufbruch ins Neue, das sich aller Fesseln entledigt.
Zu diesen Fesseln gehört Gottscheds Regelwerk. Goethe hat den Verteter des Ancien regime noch in Leipzig besucht. Mit seinem „Werther“ befeuert er die moderne Entwicklung. Ein Beispiel ist ebensso Rousseaus Roman „Die neue Heloise“
In Goethes „Götz von Berlichingen“, selbst im Faust finden sich romantische Bezüge. Es sind auch Grotesken an sich. Dafür steht beispielsweise der verhinderte Selbstmord von Faust. Von der Tat hält ihn der Klang der Osterglocken ab, die Erinnerungen an die Kindheit wachrufen. Er wird nun aber nicht wieder gläubig, sondern sentimental. Von Hexen ist die Rede und vom Teufel (Mephisto). Kein Leser des „Faust“ glaubt an den Teufel. Sein Nihilismus kommt viel farbiger als in der realen Welt daher. Das Erlebnis wird zu „schäumender Gotteslust“ und bestimmt den Fortgang der Handlung. Eine Ästhetisierung und hohe Spiritualität kennzeichnet das Werk. Dazu gehört die schöne Vorstellung, dass das Leben in Gottes Hand sei. Man kann dies als Gewissheit nehmen oder – als Vorstellung.