Vortrag von Claudia Häfner, Weimar, am 3. September 2024
Es gab 2019 eine Ausstellung über sie, lange zuvor, 1975 wurden ihre Tagebücher verfilmt. Sie galt lange als Egomanin, schien vom Schicksal als die Unglückliche verurteilt. Sie kam 1797 in Danzig zur Welt. Ihr Vater verlor bei einem Sturz vom Dach das Leben. Ihre resolute Mutter Johanna zog mit ihr 1806 nach Weimar, während Bruder Arthur des Studiums wegen in Hamburg blieb. Mutter Johanna, die in Weimar recht wohltätig handelte, wollte einmal um ihren Teetisch alle großen Geister Weimars versammeln. Goethe gesellte sich der Runde bei. Amüsiert schrieb er, wie die kleine Adele einmal versuchte, den Rock des Kunsthistorikers Johann Heinrich Meyer anzuzünden.
Goethe wurde als Vaterfigur vereinnahmt. Ihre künstlerische Begabung wird gefördert. Sie zeichnet Blumenbilder, nimmt an der Weimarer Zeichenschule teil. Sie lernte Italienisch, Französisch, Englisch, neben dem Malen und Zeichnen musizierte sie und übte sich an Handarbeiten. Rasch schloss sie Freundschaft mit Ottilie von Pogwisch, der späteren Schwiegertochter Goethes. Mit ihr las sie Werke berühmter Dichter, so von Shakespeare, Calderon, Tasso, Tieck, E.T.A. Hoffmann und anderen. Randornamente entstehen, vor allem aber Scherenschnitte und Arabesken.
Adele Schopenhauers Scherenschnitte, für die sie höchste Anerkennung erhielt, sind bezaubernde Welten, in denen anmutige Gestalten in einem Traum ewiger Schönheit schweben.
Goethe zeigte sich begeistert. Vom bezaubernden Scherenschnitt „Local zu Adelens Zwergenfest“ schrieb er in seinem Tagebuch und verwies damit auf seine Mitarbeit an der figurativen Interpretation seiner Ballade „Hochzeitslied“ (Der Graf und die Zwerge). Balladeninhalt: Der Graf von Eilenburg kehrt nach einem Krieg auf sein Schloss zurück und findet dort dank einer Hochzeitsfeier von Zwergen sein Glück wieder.
1820 tritt Adele in eine neue Lebensphase ein. Die Idylle um „Vater“ Goethe erweist sich als brüchig. Familiäre, gesellschaftliche Probleme treten in den Vordergund. Bruder Arthur entfremdet sich der Familie. Nach dem Wiener Kongress setzen sich die alten Standesunterschiede wieder durch. Die Kluft zwischen Adel und Bürgertum vertieft sich. Das Leben verdüstert sich.
Dennoch: 1817 gründeten Adele Schopenhauer, Ottilie von Pogwisch und Caroline von Egloffstein den „Musenverein“, eine eigene kleine literarische Gesellschaft. Die Freundinnen nannten sich „Adel-Muse“, „Tille-Muse“ und „Muse-Line“. Sie diskutierten ihre Erzählungen, Dramen oder Gedichte, die für gut befundenen Arbeiten wurden gesammelt, aber nicht veröffentlicht. Ein eigenhändiges Manuskript im Nachlass der Familie Frommann enthüllt wahrscheinlich ihre erste bewusste Publikation: das Märchen „Farben und Töne“. Schlag Mitternacht öffnet die glückliche Welt der Elfen ihre Pforten für ein Kind, der Erzähler-Ich der Geschichte, und zeigt ihre phantastische Schönheit und Harmonie. Aber alles mündet in einen Alptraum …
Den erlebte Adele selbst. Die unerfüllte Liebe zu dem Chemiker Gottfried Osann, ihre von dem jungen Studenten Louis Stromeyer nicht erwiderten Gefühle und die soziale Isolation brachten sie an den Rand einer Depression. Sie beschloss daher, Weimar zu verlassen, dies auch aus finanziellen Gründen. Auf der Suche nach einer neuen Wohnung lernte sie 1828 Sibylle Mertens-Schaaffhausen kennen, die ihrem Leben eine jähe Wendung geben sollte. Die Sammlerin, Mäzenin und Musikerin führte in Bonn einen einflussreichen Salon und besaß mehrere Anwesen am Rhein. Sofort entwickelte sich eine innige Freundschaft. So kam es, dass Adele mit ihrer Mutter den Zehnthof in Unkel am Rhein beziehen konnte. Ab 1832 wohnten sie nur noch in Bonn. Die enge Beziehung zum „gütigen Vater“ in Weimar lebte im Briefwechsel fort. Sie durfte ihn um Autographen, und Medaillen bitten und vermittelte Mineralien, Altertümer, Bücher und Radierungen. Goethe: „Möge es unter uns noch lange beym Alten bleiben.“ Auch die vertraute Beziehung zu Ottilie von Goethe dauerte fort. Adele beteiligte sich an deren mehrsprachigen Zeitschrift „‚Chaos“, die aus den Aktivitäten des Musenvereins hervorgegangen war. Adele veröffentlichte ihre Beiträge, auch die zusammen mit Sibylle Mertens-Schaaffhausen verfassten, anonym oder unter dem Namen Viator.
Mit Annette von Droste-Hülshoff trat eine Dritte in den Freundschaftsbund. Ein interessanter Briefwechsel begann.
Dennoch erwies sich das Leben am Rhein als engstirnig und provinziell. Hinzu traten finanzielle Sorgen. Von den ökonomischen Zwängen erdrückt, erbat Mutter Johanna von Großherzog Carl Friedrich und Großherzogin Maria Pawlowna eine Pension, die ihr ermöglichte, nach Weimar zurückzukehren. Sie nahm ihren letzten Wohnsitz in Jena und starb dort 1838.
Adele begann nun zu reisen. Um dies finanzieren zu können, begann sie eine Karriere als Arabeskenmalerin. 1838 sandte sie an ihren Düsseldorfer Freund Immelmann eine außergewöhnliche Umsetzung einer Komposition vomn Wolfgang Maximilian von Goethe, die „Galoppade der Vögel“, die sie in ein ironisches gesellschaftskrtisiches Bild verwandelt hatte.
Mit dem jüngeren Enkel Goethes Wolfgang Maximilian schrieb sie das Drama „Erlinde“. Der Text basiert auf der thüringischen Sage von der Ilm-Nixe. Adele arbeitete zugleich als Literaturkritikerin.1844 erschienen bei Brockhaus die „Haus-, Wald- und Feldmärchen“, wo sie das erste Mal unter ihrem richtigen Namen auftritt. Es ist heute wohl das bekannteste Werk Adele Schopenhauers.
1844 begab sich Adele zu ihrer Freundin Schaaffhausen nach Italien. Die arbeitete dort als Archäologin. Von Genua ging es nach Rom. Noch vor ihrer Abreise hatte Adele dem Brockhaus noch ein weiteres Manuskript geschickt: „Anna. Ein Roman aus der nächsten Vergangenheit“.Dort nimmt sie das von ihr schon behandelte Thema der weiblichen Selbstbestimmung und des Einflusses der historischen Ereignisse auf die individuele Entwicklung wieder auf. Sie war zudem als Auslandskorrespondentin tätig. In Italien verfasste sie auch ihren letzten Roman: „Eine dänische Geschichte“. Auch schrieb sie – eine Innovation – einen Reiseführer über Florenz. Der richtete sich vor allem an reisende Frauen.
Geschwächt von einem Unterleibstumor kehrte sie 1848 zu Sibylle nach Bonn zurück. Sie starb dort 1849.