Vortrag von Dr. Egon Freitag, 1. November 2016
Johann Peter Eckermann wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf. Er wurde 1792 in Winsen an der Luhe (Lüneburger Heide) geboren. Sein Vater war Hausierer, seine Mutter Heimarbeiterin. Als Hütejunge konnte er nur notdürftig Lesen und Schreiben lernen. Aber er besaß ein großes zeichnerisches Talent. Doch wegen seiner anfänglich geringen Bildung wurde er oft verspottet, auch noch später. Heine nannte ihn „Goethes Papagei“, Lenau dichtete „Eckermann und Goethe/Blaserohr und Flöte“.
Eckermann nahm 1813 am Winterfeldzug gegen Napoleon teil. Danach wollte er Maler werden, er kopierte Bilder. Im Winter 1815 wanderte er nach Hannover zu Kunstmaler und Kupferstecher Johann Heinrich Ramberg. Er nahm bei ihm Zeichenunterricht. Dann ging ihm das Geld aus. Außerdem litt er an einer schweren Krankheit.
Von 1815 bis 1821 hielt er sich in Hannover auf. Er lernte dort Latein und Griechisch und widmete sich nun der Poesie, die ihn nach eigenen Worten „mit zärtlichen Armen aufnahm“. Sein erstes Gedicht widmete er den aus den napoleonischen Feldzügen zurückkehrenden Soldaten. Jetzt wollte er Dichter werden. Er las Klopstock und Schiller, lernte mit 24 Jahren Werke Goethes kennen. Er las sie immer wieder. Goethe wurde Eckermanns Leitstern. Erst in dieser Zeit besuchte er ein Gymnasium. Gönner empfahlen ihn für ein „Brotstudium“ in Göttingen. Er bekam Studienbeihilfe. In Göttingen wirkten damals Lichtenberg, Voß, Bürger, Brentano, die hier studierten; ebenso die beiden Humboldts, Heine und Fallersleben. Er sollte Jura studieren, aber dies interessierte ihn überhaupt nicht. Er hatte nur die Kunst und Literatur im Sinn.
Nun begab er sich zu Fuß von Göttingen nach Dresden. Auf der Rückreise wollte er in Weimar unbedingt Goethe kennenlernen. Allerdings war Goethe abwesend. 1821 schickte er seine Gedichte an Goethe, versehen mit Geburtstagswünschen und mit der Bitte um einige aufmunternde Worte für einen Verleger. Eckermann erhielt Antwort, und dies war eine große Freude für ihn. Dies beflügelte ihn umso mehr, unbedingt Goethe zu treffen, um Schriftsteller zu werden und endlich Geld zu verdienen. Er schuf das Trauerspiel „Graf Eduard“. Er äußerte ebenso seine Gedanken zu Goethes „Beiträge zur Poesie“ und meinte hierzu: „Der Mensch ist nicht zum Wissen, sondern zur Tat berufen.“
Eckermann hoffte lange, einen Verleger zu finden. Daher hatte er auch sein Studium abgebrochen. In dieser Situation war er nicht in der Lage, seine Verlobte Johanna Bertram, das „Hannchen“, an den Traualtar zu führen. Er verließ Göttingen, wanderte etwa 150 Kilometer durch das Werratal nach Weimar. Am 10. Juni 1823 erlebte er seine Sternstunde, er lernte endlich Goethe persönlich kennen. Ihm, dem Hütejungen, öffnete sich die Tür zum Frauenplan, durch die große Gelehrte, Künstler, Fürsten und Könige gingen.
Goethe war damals fast 74 Jahre alt, Eckermann 31. Goethe musste rasch erkannt haben, dass ihm Eckermann sehr nützlich werden könnte. Er stellte ihn zur Probe. Als erstes musste Eckermann herausfinden, welche Rezensionen in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“ von 1772/73 aus Goethes Federstammten. Sie waren allesamt anonym erschienen. Eckermann meisterte diese Aufgabe mit Bravour. Einige Tage später sollte er eine Inhaltsangabe über „Kunst und Alterum“ erstellen. Auch diese Aufgabe wurde erledigt und ebenso die dritte.
Nun schickte Goethe seinen Adlatus mit einem Empfehlungsschreiben nach Jena, er selber fuhr zur Kur in die böhmischen Bäder. „Er ist mit meiner Denkweise so vertraut …“ lobte Goethe, und dieses Lob war für Eckermann der Ritterschlag. „Er ist mein geprüfter Haus- und Seelenfreund.“ – „Wie eine Ameise schleppt er meine Gedichte zusammen“. – „Er weiß, mit großer Liebe allem etwas abzugewinnen“.
Berge von Manuskripten harrten Eckermanns Redaktion. Goethe bereitete eine Gesamtausgabe seiner Werke vor, alles musste gesammelt, redigiert und imprimiert werden. Wie Eckermann an seine Verlobte Johanna Bertram berichtete, wollte er alles tun, um sich vor der Welt auszuzeichnen. Dennoch blieb sein Wunsch, selbst Schriftsteller zu werden, unerfüllt. Und er fühlte sich nicht wohl in Weimar: „Wenn nicht Goethe und einige seiner Freunde (wie Riemer und Kanzler Müller) wären, würde ich nicht einen Tag in Weimar bleiben.“ – Meine Armut ist mein größtes Unglück.“
Eckermann hat den Dichter wohl 1000-mal besucht.
Viele Gespräche mit Goethe weckten in Eckermann den Wunsch, selbige in Druck zu geben. Er hoffte, dadurch in Europa bekannt zu werden. Goethe wusste von diesem Vorhaben und akzeptierte es. Doch Goethe wünschte keinesfalls eine baldige Publikation, erst nach seinem Lebensende sollten die Gespräche erscheinen. Er hat sie nicht heimlich aufgeschrieben; solange Goethe lebte, wusste er auch davon.
1828 gab es ein Gespräch, zu dem Eckermann nur vier Stichworte aufzeichnete; Genie, Napoleon, Preußen, Produktivität. Daraus entwickelten sich später 17 Druckseiten. Eckermanns Gespräche mit Goethe sind keine wörtlichen Protokolle, vieles hat er aus der Erinnerung aufgeschrieben. Dass er aber Ton und Inhalt richtig traf, betstätigten Goethes Enkel: „Ja, es ist der Apapa.“ Er hat genau Goethes Wortwahl und Ausdrucksweise verinnerlicht. An besagtem Gespräch hat er übrigens vier Wochen gearbeitet.
Eckermann genoss das Vertrauen Goethes. Selbiger führte ihn in die Naturwissenschaften, besonders in die Farbenlehre ein. Eckermann sollte sogar ein Kompendium über Goethes Farbenlehre verfassen. Dieses Vorhaben hat er aber nicht ausgeführt. Einmal kam es zum Streit. „Blaue Schatten im Schnee“ waren für Goethe lediglich eine optische Täuschung. Eckermann dagegen behauptete, dass dieses Blau durchaus nichts Subjektives sei, wie Goethe meinte, sondern etwas Objektives, der Widerschein des Himmels. Goethe billigte aber diesen Einwand nicht, ja, er wurde richtig böse. Er vertrug keinen Widerspruch, schon gar nicht in der Farbenlehre. Zwei Jahre später korrigierte sich Goethe allerdings.
Eckermann hatte großen Einfluss darauf, dass Goethe endlich den zweiten Teil vom „Faust“ beendete. Er hat sich immer wieder nach dieser oder jener Person (z. B. Helena) erkundigt, um auf diese Weise Goethe voranzutreiben. Beim 1. Teil war Schiller, beim 2. Eckermann der „Treiber“.
Beide waren regelrecht befreundet, Goethe sorgte dafür, dass Eckermann an der Jenaer Universität seinen Doktortitel bekam. Und es gibt ein weiteres Beispiel ihrer Freundschaft. Eckermann hatte in den Niederlanden das Bogenschießen erlernt und wusste Goethe davon zu begeistern. Da Eckermann aber zu arm war, um einen Bogen zu kaufen, schenkte ihm Goethe den Bogen eines Baschkiren aus seinem Bestand. So versuchten sie sich im Hausgarten am Frauenplan. Dabei schossen sie auch auf die Fensterlade zu Goethes Arbeitszimmer. Der Pfeil blieb drin stecken, man konnte ihn nicht aus dem Holz herausziehen. Goethe fand Spaß am Bogenschießen, nicht aber am Kegeln, dies sei etwas für Philister. Auch dieses Beispiel frd Bogenschießens zeigt, dass Eckermann nicht einfach Goethes Sekretär war, sie waren wahrhaftig Freunde.
Nach Goethes Tod arbeitete Eckermann gemeinsam mit Riemer und Kanzler Müller am Nachlass, der sich zu vierzig Bänden auswuchs. 1836 erschienen die „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“, die Eckermann der Großherzogin Anna Pawlowna widmete, die ihn stark unterstützte, da er nach dem Tod seiner Frau in noch größerer finanzieller Not lebte. Goethe hatte ihm keinen Lohn gezahlt, wohl auch deshalb, da er ihn als seinen Freund betrachtete, jedoch nicht als Sekretär. Sekretär war John. Nun erhielt er 300 Taler lebenslange Pension, verbunden freilich mit der Auflage, in Weimar zu wohnen. Vom preußischen Köng erhielt Eckermann auf Vermittlung der Humboldts 360 Taler.
Sein bleibendes Verdienst sind die „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“ Nietzsche meinte später: „Die Unterhaltungen Eckermanns und Goethes sind das beste Buch, das es gibt.“