Vortrag von Prof. Hans-Joachim Kertscher, Halle, am 4. Juni 2024
Im Hinblick auf Centenarfeiern für Dichterpersönlichkeiten in Deutschland setzten die in seiner Geburtsstadt Quedlinburg vom 1. bis 3. Juli 1824 ineszenierten Feierlichkeiten zum 100. Geburstag von Friedrich Gottfried Klopstock erste Maßstäbe. Der galt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unbestritten als einer der größten Dichter der Deutschen. Sein 100. Geburtstag wurde daher im gesamten deutschen Sprachraum feierlich begangen. Die aufwändigste Feier fanden in seiner Geburtsstadt Quedlinburg sowie in seinem Sterbeort Hamburg statt.
In Quedlinburg hatten einflussreiche Bürger schon frühzeitig den Gedanken einer Klopstock-Feier und der Errichtung eines Denkmals in der Vaterstadt des Dichters an die preußische Regierung herangetragen. Per Kabinettsordre vom 11. Mai 1820 war die Erlaubnis des preußischen Königs zur Durchführung der Feierlichkeiten in Quedlinburg eingegangen. Daraufhin ließen die Initiatoren in regionalen wie überregionalen Zeitschriften Anzeigen publizieren, die für das Ereignis gehörig die Werbetrommel rührten. Mit maßgeblicher Unterstützung des Landrates Weyhe wurde 1824 der erste Klopstock-Verein Deutschlands ins Leben gerufen. Er widmete sich den Jubiläumsfeierlichkeiten. Geplant waren ein großes dreitägiges Musikfest mit bekannten Künstlern, das unter der Leitung des Komponisten Carl Maria von Weber stattfinden sollte. Die Einladung des Vereins zur Gestaltung des Festes beantwortete der Komponist wie folgt: „Ihre ebenso schmeichelhafte als erfreuliche Einladung, der SäkularFeyer des unsterblichen Barden beizuwohnen, kann mich nur zu lebhaftem Danke für Ihr moch so ehrendes Vertrauen verpflichten; und ich werde mit wahrer Freude in allem mitwirken, wo Sie glauben, daß mein Eifer für die Sache nützlich, und meine Thätigkeit nothwendig sein könnte.“
Carl Maria von Weber scharte „in den beiden letzten Tagen des Juni“ Sänger und Musiker aus verschiedenen Gegenden Deutschlands um sich und probte mit ihnen die geplanten Stücke.. „Die Zahl der Musiker, welche bei den Aufführungen der beiden Hauptfeiertage thätig waren, betrug gegen 110, die der Sänger gegen 150. Die Gesamtzahl also ungefähr 260.“
Eine Vorfeier am 1. Juli leitete das Ganze ein. Sie „bestand aus einem Concert in der Schloßkirche, Nachmitags von 3 bis 6 Uhr“ und fand ihre Fortsetzung in der Hauptfeier am 2. Juli. Diese begann vormittags in der Schlosskirche. Dabei ertönte Beethovens 3. Sinfonie, die „Eroica“. – „Sie wurde mit vielem Ausdruck und scharfer Präcision ausgeführt, was gewiß bei einem Orchester bewunderungswürdig ist, welches aus so verschiedenen Elementen gemischt ist wie das quedlinburger, und welches nur zwei Proben dieser schwierigen Musik gehabt hatte.“ Die Veranstalter belohnten diese Leistung mit einer Medaille. Alle Mitglieder des Chores und des Orchesters erhielten eine eiserne Medaille, welche an einem blauen Bande getragen wurde: als Andenken an dieses Fest, theils auch als Erkennungszeichen, welches zugleich Eintritt in die Proben und zu dem Speisesaale gab. Die Medaille zeigte auf der einen Seite eine mit Lorbeern umkränzte Leier, auf der andern das Datum des Festes.“
Eine Mittagsmahl für die Honoratioren der Stadt schloss sich mit zahlreichen Trinksprüchen an. Für die Nachnittagsfeierlichkeiten wurden die Räumlichkeiten „im Schauspielhause des Mummenthals“ genutzt. „Laub- und Blumengehänge umkränzten die Eingänge zu dem Mummenthale und zu dem Schauspielhause“. Büsten von Homer und Vergil, der Vorbilder Klopstocks, zierten das Eingangsportal. „Oben über der Thür des Eingangs … stand Klopstocks Büste mit einem Lorbeerkranze geschmückt, nach einem Gemälde von Tischbein, in nachtblauem Felde, umgeben von einem prophetisch-apocalyptischen Siebengestirn von geschliffenem Glase und durch Lämpchen erleuchtet, hindeutend auf das höhere himmlische Epos des großen Sängers, zugleich auf eine Apotheose.“
Großes Pathos war also an die Stelle einer eingehenden Beschäftigung mit dem Werk Klopstocks getreten. Das kannte man bereits. Schon Lessing hatte im ersten seiner „Sinngedichte“ auf mangelndes Interesse an den Texten des Quedlinburgers verwiesen:
Wer wird nicht eiunen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.
Wir wollen weniger erhoben,
Und fleißiger gelesen sein.
Auch Hamburg, der letzte Wohnort des Dichters, beteiligte sich mit einer eigenen Centenarfeier am dem Klopstockfeierlichkeiten des Jahres 1824; auch darüber hat sich Goethe, so viel man weiß, nicht ausgelassen. Lediglich am 9. November 1824 betonte er gegenüber Eckermann die Vorreiterrolle, die Klopstock und Herder anfangs im literarischen Betrieb gespielt hätten. Nun aber sei „die Zeit ihnen vorangeeilt, und sie, die einst so nothwendig und wichtig waren, haben jetzt aufgehört, Mittel zu sein. Ein junger Mensch, der heut zu Tage seine Kultur aus Klopstock und Herder ziehen wollte, würde sehr zurückbleiben.“
Da befand sich der Weimarer freilich im Irrtum. Nicht nur die Feierlichkeiten im Jahr 1824 konnten darauf schließen lassen, dass Klopstock durchaus noch in jenen Jahren Gesprächsstoff innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu liefern vermochte. Kein Geringerer als Friedrich Hölderlin war zeit seines Lebens ein glühender Anhänger des Quedlinburgers. Bereits mit siebzehn Jahren, in seiner Maulbronner Schulzeit, bekannte er sich in der Ode „Mein Vorsatz“ zu zwei literarischen Vorbildern und fragte in diesem Zusammenhang nach dem Ziel seines dichterischen Wollens:
Ist’s heißer Durst nach Männervollkommenheit?
Ist’s leises Geizen um Hekatombenlohn?
Ist’s schwacher Schwung nach Pindars Flug?
Ist’s kämpfendes Streben nach Klopstocks Größe?
Obwohl er sich eingestehen musste, dass er den „Weltenumeilenden Flug der Großen“ nicht vollziehen könne, fühlte er sich gerüstet: „Hinan! Hinan! Im glühenden kühnen Traum / Sie zu erreichen.“
Schon in seiner Knabenzeit in Nürtingen hatte Hölderlin die Werke Klopstocks entdeckt und den Wunsch verspürt, sich „mit dem Sänger Gottes, Klopstock, himmelan“ schweben oder „Klopstocks Bild und Wielands – Mit Blumen umhängt zu sehen.“ Noch Ende der dreißiger Jahre, in geistiger Umnachtung, rezitierte Hölderlin, so der hessische Theologe Albert Diefenbach, im Tübinger Turm Klopstock „stundenlang … laut mit großem Pathos.“
Doch zurück zur Klopstockfeier in Quedlinburg. Deren Einnahmen samt der für diesen Zweck zustande gekommenen Spenden fanden Eingang in den Fonds zur Schaffung eines Klopstock-Denkmals. Es wurde in der Parkanlage Brühl am Ende einer Sichtachse aufgestellt und am 7. Juli 1831 enthüllt. Das Postament für das Denkmal gestaltete Carl Friedrich Schinkel, die darauf platzierte Büste entwarf Christian Friedrich Tieck.