Rückblick

Goethes evolutionäre Reise – zur Modernität des Goethe’schen Homunculus

Vortrag von Dr. Manfred Osten, Bonn,  am 4. September 2018

Wir verspielen die Chancen, jemals das Glück zu erkennen. Wer diese Situation beginnt und fortführt, ist Faust. Die „Sorge“ haucht ihn an: Es ist die Krankheit zum Tode. Davon ist unser 21. Jahrhundert betroffen. Es herrscht eine totale Blindheit hierüber. Alles bewegt sich in Richtung digitaler Demenz, in einem Prozess, in dem wir unser Gedächtnis in den digitalen Speichern ablegen. Das „alte“ Gedächtnis wird liquidiert. Dies widerspiegelt sich in der Szene mit Philemon und Baucis und dem Wanderer, der nichts anderes als Zeus selbst ist. Es wird alles zerstört, auch Zeus selbst. Die Idylle ist dahin. Vollstrecker sind drei brutale Gestalten: Raufebold, Habebald und Haltefest.
Den historischen Hintergrund bildet der Reichsdeputationshauptschluss 1803, der das alte Europa auflöst und damit auch das „europäische Gedächtnis“ auslöscht. Als Konsequenz folgt eine ziemliche Verdüsterung, die Goethe bereits ahnt. Er hat dabei auch die Ergebnisse der Französischen Revolution und ebenso die beginnende Industrialisierung im Blick. Es handelt sich bei beiden um eine irreversible Weltveränderung.Eine nie dagewesene Beschleunigung in Produktion, Konsumtion und im Transportwesen hebt an. Damit geht eine ungeheure Unruhe des Menschen einher.
Heute kommt eine Beschleunigung in der Kommunikation hinzu. Daraus folgt eine totale Überforderung des Menschen. Die Empathie geht dabei verloren. So gilt für die Moderne, worüber schon Goethe urteilte: „Alles ist jetzt ultra.“ – „Keiner kennt sich mehr.“ Damit wird ebenfalls ein Prozess der Selbstentfremdung eingeleitet. Goethe ahnt, dass der Mensch diesen Überforderungen nicht standhalten wird. Er warnt in den „Ernsten Scherzen“ (Brief an Wilhelm von Humboldt) vor einer versuchten Optimierung des Gehirns; vor allem die neuronale Kompetenz ist dafür nicht gegeben.
Warum dies nicht funktionieren kann, zeigt sich in Faust II in der „Kaiserpfalz“. Dort erfolgt durch Mephisto eine Geldschöpfung ohne Wertschöpfung, eine Virtualisierung des Geldes. Dieser Vorgang kann von niemandem mehr reguliert werden. In seiner extremen Form entspricht dies heutigen Finanzmärkten, wo Maschinen Geldflüsse in Sekundenbruchteilen steuern. Wir sind aber durchaus nicht in der Lage, hochkomplex zu denken, wie es in diesen hochfrequenten digitalen Apparaturen geschieht. Die globale Geldschöpfung erhöhte sich nach dem 2. Weltkrieg um das 40-fache, die Wertschöpfung lediglich um das Vierfache. Die Renditen gehen ins Uferlose, während die Renditen aus Arbeit gegen Null tendieren. So wird es bis 2030 die Hälfte aller Berufe gar nicht mehr geben.
Es wächst somit die Möglichkeit vielerlei Entgrenzung. Dies kommt in den Worten des Marschalls zum Ausdruck: „Welch Unheil muss auch ich erfahren. Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr…“ Wir sind also in der Lage, immer mehr zu fordern, als produziert werden kann. Goethe sieht durchaus auch irreversible Folgen durch ungehemmte Ausbeutung fossiler Brennstoffe voraus. Doch all dies hat seinen Preis: „Tags umsonst die Knechte lärmten, Hack und Schaufel, Schlag um Schlag; Wo die Flämmchen nächtig schwärmten, Stand ein Damm den andern Tag. Menschenopfer mussten bluten, Nachts erscholl des Jammers Qual; Meerab flossen Feuergluten, morgens war es ein Kanal.“ Biotope trocken zu legen, bringt Unheil, wie auch die Eingriffe in die Ozeane. Eine gigantische „Landgewinnung“ wurd ja auch im „Faust II“ beschrieben. Vormals wurde ein Viertel des Kohlendioxids vom Meer aufgenommen, doch die Meere versauern zusehends und dies irreversibel. Mephisto (an Faust) beschreibt diesen Prozess: „Du bist doch nur für uns bemüht, Mit deinen Dämmen, deinen Buhnen; Denn du bereitest schon Neptunen, Dem Wasserteufel, großen Schmaus. In jeder Art seid ihr verloren; – Die Elemente sind mit uns verschworen, Und auf Vernichtung läuft’s hinaus.“
Abschied von der alten Welt, heißt Abschied nehmen von der Realität. So, wie in der „Kaiserpfalz“ virtuelles Geld geschaffen wurde, so werden wir selbst die ganze Welt virtualisieren. Wir sind Produkte der Medien und ihrer digitalen Giganten. Uns umfängt das Bängliche, wir sind verstrickt in den Netzen; ihnen sind wir ausgesetzt, sie werden uns umgarnen. Diese virtuelle Welt führt uns schon Goethe vor.
All dies sind im Grunde genommen nicht nur ökonomische, sondern auch neuropathologische Entwicklungen. Deren Gefahren gestaltet Goethe im „Faust II“. Nachdem alle reich geworden sind, müssen sich alle nur noch amüsieren. Hierhin führt auch das leistungslose Grundeinkommen, das nur noch Amüsement übrig lässt. Das Symbol des „Dreifußes“ für die Mütter steht dafür; was wir hier und auch auf der Leinwand, in dem Fernsehbildern und auf den Smartphones erleben, ist die ungeheure Brutaölität, sex and crime; auch der Raub der Helena durch Paris im „Faust“ illustriert dieses Geschehen. Und Faust hält, was geschieht, für die Realität. Er versucht, Paris zu verprügeln, um Helena zu befreien. Es misslingt, er sinkt bewusstlos zu Boden. Mephisto muss ihn retten, es bleibt eine Schattenwelt: „Mit Narren sich zu beladen, kommt der Teufel gar zu Schaden.“
Von großer Bedeutung in diesem Spiel sind wie erwähnt Goethes „Ernsthafte Scherze“ . Diesen „wissenschaftsutopischen Gespenstern“ (in der Gen-Werkstatt des Menschen) begegnet Goethe in seinen „Scherzen“ mit tiefgründiger, bitterer Ironie. Er fordert damit vor allem jene Distanz des Menschen gegenüber sich selbst ein, die er als notweniges Korrektiv versteht angesichts seiner Einsicht: „An ihm (dem Menschen) nichts wahr ist, als dass er irrt“.
Ausgangspunkt für den Paradigmenwechsel der Homunculus-Thematik ist die revolutionierende Harnstoffsynthese Wöhlers 1828; ihm gelang es, aus organischer Materie diesen organischen Stoff zu gewinnen. Nun ist es erwiesen, dass Eingriffe in die Gene möglich sind; es wird sie verändern, um sie zu optimieren. Genau dies wird die Idee des Homunculus.
Famulus Wagner erweist sich hierbei als Gen-Designer. Hier wird ein Mensch gemacht. Wagner: „Behüte Gott! Wie sonst das Zeugen Mode war, Erklären wir für eitel Possen.“
Das Ziel bleibt ein optimiertes Hirn. Aber Homunculus erweist als als nicht lebensfähig, weil er nur in seiner Phiole schweben, keinesfalls aber die reale Welt betreten kann.
Allerdings gibt es Schnittstellen zwischen den Neurowissenschaften und der Kybernetik, um Gedanken lesen und bestimmen zu können. China hat eine solche Möglichkeit mittels Sensoren bereits entwickelt Falls das Leistungsvermögen absinkt, kann dies sofort korrigiert werden.
Homunculus ist hierzu fähig,allerdings ist er überhaupt nicht zufrieden, er möchte ein vollständiges Wesen sein. So gelingt das Experiment nicht vollständig, dennoch zeigen sich Faust und Mephisto überrascht, was mit ihm gelang.
Zum vollständigen Wesen gehört freilich auch das Wissen um die eigene Herkunft, das historische Gedächtnis, was Homunculus fehlt. Dies widerspiegelt die „Klassische Walpurgisnacht“. Mephisto begleitet ihn dorthin, verweist auf die Notwendigkeit, 1500 Jahre zurück in die Vergangenheit zurückzugehen. Homunculus erwirbt Herrschaftswissen über Zukunft und Vergangenheit, weist zurück zu den „Überresten“ des Altertums. Aber er ist bereits der einzig Wissende, der ihn noch kennt, den Weg zur „Klassischen Walpurgisnacht“. Er weiß zugleich, warum er diesen Weg einschlägt. Hier nämlich, wo sich sein diabolischer Geburtshelfer Mephisto als Ignorant erweist und folglich verhöhnt wird, sucht Homunculus nichts Geringeres als das, was in der Bioethik-Debatte inzwischen als Grundrecht des Menschen diskutiert wird: das Recht auf Existenz. Und nichts wünscht sich der halbfertige Homunculus mehr, als vollkommen auf die Welt zu kommen. Darauf wurde bereits hingewiesen.
Osten vermerkt: „Er (Homunculus) will seine eigene Zukunft gestalten. Und er will sie dialektisch meistern durch Rückgriff auf die fernste Vergangenheit, auf die Antike. Es ist ein Versuch, bei dem er Mephisto und Faust weit hinter sich lässt. Sie haben in dieser Zukunft nichts mehr zu suchen …
Homunculus lässt hierbei sogar die fortschrittsgläubige Optimierungsbesessenheit des ungeduldigen Projektemachers Faust hinter sich. Denn Faust verwechselt am Ende einen (Entwässerungs-) Graben mit seinem Grab und bleibt damit beiden Konstanten der Menschheitsgeschichte treu, die Goethe … diagnostiziert hatte als Torheiten und Schlechtigkeiten, das heißt Irrtum und Gewalt als Resultate übereilten Denkens und Handelns.“
Die Szene geht zurück zu den frühen griechischen Philosophen; Thales wird eingeführt. Er wendet sich an Homunculus mit einer Verheißung: „Gib nach dem löblichen Verlangen, Von vorn die Schöpfung anzufangen! Zu raschem Wirken sei bereit! Da regst du dich nach ewigen Normen, Durch tausend, abertausend Formen, und bis zum Menschen hast du Zeit.“
Die Warnung folgt auf dem Fuß, durch Proteus: „Komm geistig mit in feuchte Weite, Da lebst du gleich in Läng und Breite, Beliebig regest du dich hier; Nur strebe nicht nach höhern Orden;
Denn bist du erst ein Mensch geworden, Dann ist es völlig aus mit dir.“
Folglich scheitert Homunculus, die Phiole zerschellt am Muschelwagen der Galatee. Er wird ausgeschlossen, weil er das Festgelage antiker Gestalten in der Welt stört.
Goethes letztes Wort? Wir brauchen nicht die erneuerte Evolution. Wir können in selbstvergewissender Erkenntnis der Überforderung entgehen, indem wir uns selber auf ganz andere Weise optimieren können, nämlich zur Askese, zum asketischen Staunen. Dies muss man üben, üben, üben (Nietzsche).
Die Tiere werden durch ihre Organe belehrt, der Mensch muss zunächst seine Organe belehren. Wenn er dies nicht tut, sinkt er unter die Tiere. Damit wird der Barbarei der Weg bereitet, warnt Goethe im „Faust“. Dann lebt der Mensch nur nach seinen Affekten (Spinoza). Gewalt, Gier, Ungeduld treiben uns zu ständigem Fitnesszwang. Doch eigentlich sind wird durch die kulturelle Revolution domestiziert worden. Ohne sie ginge vieles verloren. Daher muss der verständige Mensch sich mäßigen, um glücklich zu sein, lautet Goethes Botschaft an die digitalisierte Welt. Jegliche Maßlosigkeit steht unter dem Fluch der Natur. Dies schlägt Mephisto in den Wind. Er pocht auf maßlose virtuelle Wünsche und Forderungen, für die er selbst nichts leistet: schnelles Geld, schnelles Handeln, schnelle Liebe (Gretchen für Faust) alles muss rasch geschehen. Enttäuschungen bleiben nicht aus. Aber wie soll man glücklich werden in einer Lage dauernder Verzweiflung? Faust umtreibt all die Dinge, die Wirklichkeit geworden sind, aber: „Nachts erscholl des Jammers Qual ..“ So verwechselt er seinen Fortschrittsglauben (vermeintlicher Entwässerungsgraben) mit seinem, dem eigenen Grab. Eine Warnung.
Dagegen steht Lynkeus der Türmer. Er zeigt Möglichkeiten auf, wie man glücklich leben kann, indem man ein Leben in Achtsamkeit und in der Anschauung führt. Damit gelingt Übereinstimmung von Mensch und Natur. Dies läuft auf Entschleunigung hinaus. Es liegt in unserer Hand, uns so weit wie möglich den Überforderungen zu entziehen. Wir müssen die Phänomene geduldig ansehen, daraus entwickeln wir das Glück. Aber unserer Welt ist momentan die Empathie verloren gegangen. Daher gilt unsere ständige Aufmerksamkeit den drohenden Verdüsterungen des Lebens, denen wir durch sittliches – gutes – Handeln begegnen müssen.
Dies ist die Gegenwelt, die Lynkeus sieht – im Gegensatz zu den furchtbaren Handlungen, die Faust unternimmt. Faust meint: Herrschaft gewinnen, ist Eigentum. Damit ist das 21. Jahrhundert vorweggenommen. Lynkeus ist anderer Ansicht: Durch Aufmerksamkeit ( für Natur und Mensch, für uns selbst) wird Eigentum generiert. Erst der nach innen gewendete Blick schafft wahres, unveräußerliches Eigentum. Goethe: „Ich weiß, dass mir nichts angehört. Als der Gedanke der ungestört. Aus meiner Seele will fließen …“

Auf den Spuren Goethes in die Schweiz

„Auf den Spuren Goethes in der Schweiz“

Im Oktober 2014 wurde unsere Erfurter Goethe-Gesellschaft gegründet. Seit dieser Zeit haben wir viele interessante Vorträge, Debatten und Exkursionen erlebt, die alle von unserem Vorsitzenden Bernd Kemter organisiert wurden. In diesem Jahr sollte uns unsere Studienfahrt auf Goethes Spuren in die Schweiz führen. Am 13. Juni 2018, morgens um 7.45 Uhr, kam der Bus mit den Geraer Goethe-Freunden am Erfurter Domplatz an. Nun waren wir 26 Reisende zu Goethes Erinnerungsorten.
Unsere erste Station war Hünfeld, eine mittelalterliche Stadt, in der wir u. a. das vor kurzem errichtete Goethe-Denkmal besichtigten. Hier erfuhren wir auch, dass der in Hünfeld gebürtige Prof. Konrad Zuse den ersten Rechenautomaten der Welt, den Computer, erfand. Er stellte ihn 1941 in Berlin vor.
Unser nächster Halt galt Sessenheim mit einem Besuch des kleinen Goethe-Museums, des Goethe-Memorials und selbstverständlich der „Goethe-Scheune“.
Kemter las uns Geschichten, Geschehnisse vor, die sich um Goethe und Friederike Brion rankten, ebenso einige „Sesenheimer Lieder“. In diesem Ort lernte er die Pfarrerstochter kennen, sie lieben, er pflegte einen regen Briefverkehr mit ihr. Auch neue dichterische Einfälle, eine neue geistige Sicht erhielt er durch diese Liebe, d. h. er schrieb und dichtete über das „Liebesidyll“ in Sessenheim.
Auch über den Ort selbst erzählte uns Kemter Geschichtsträchtiges. Hier hatten sich die „Sassen“ aus dem Elsass, die „sesshaften Leute“ also, niedergelassen. 1341 gab es also schon das Dorf Sessenheim (Goethe schrieb es lieber mit einem s) mit einer uralten, schönen Kirche, die wir uns ansahen, es gibt ein weiteres Gotteshaus. Nach dem Aufenthalt in Sessenheim fuhren wir weiter nach Mulhouse, um im dortigen Novotel zu übernachten.
Am nächsten Tag, dem 14. Juni, war Biel unser nächstes Reiseziel. Nach kurzer Stadtbesichtigung fuhren wir weiter, unserer Schiffsreise zur Petersinsel entgegen. Sie dauerte leider nur zehn Minuten. Hier, auf der grünen Insel, wanderten wir zu einem Kloster mit Cafe, denn wir hatten nach der Wanderung den Wunsch nach einer Pause mit Mittagsimbiss.
Auf der Petersinsel, so erfuhren wir, hielt sich zeitweise der streitbare Philosoph Jean Jacques Rousseau auf. Näheres über sein Leben erfuhren wir wieder von unserem Reiseleiter, der uns während der Weiterfahrt im Bus einige Kapitel aus seinen „Bekenntnissen“ und dem „Gesellschaftsvertrag“ vorlas.
Der Bus fuhr nun von Neuveville nach Lausanne. Hier im Novotel in Lausanne Bussigny waren drei Übernachtungen gebucht.
Am Freitag, dem 15. Juni, fuhren wir mit dem Bus Richtung Genf, machten aber in Rolle einen kurzen Stadtbummel, denn auch hier war Goethe gewesen. Fasziniert hat uns ein uraltes Schloss am See, welches Louis II. de Savoie um 1319 erbauen ließ. Gegen 9.45 Uhr kam unser Bus in Genf an. Mit einer örtlichen Reiseführerin begann ein Altstadtbummel. Genf ist die zweitgrößte Stadt der Schweiz und zeigt einige Besonderheiten. So ist das Rathaus – bedingt durch den See – zweigeteilt, eine Brücke verbindet beide Seiten. Eine weitere Besonderheit erblickten wir: eine Blumenuhr, sehr schön! Eine Kathedrale konnten wir ebenfalls besichtigen. Zwischen 1160 und 1250 wurde sie im romanischen und gotischen Stil erbaut. 1536 wurde sie nach der Reformation evangelisches Gotteshaus.
Nun besichtigten wir das Rot-Kreuz-Museum und erfuhren hierbei, dass 1864 im Genfer Rathaus die Konvention des Roten Kreuzes unterzeichnet und diese Organisation damit gegründet wurde.
Weitere Institutionen, die hier in der Schweiz ihren Sitz haben, sind zum Beispiel: der zweite Hauptsitz der UNO (193 Mitgliedsstaaten), die Weltgesundheitsorganisation, die Genfer Flüchtlingskonvention UNHCR, der Weltkirchenrat, das IOC,
Nach dem Museumsgang besuchten wir Park und Schloss Ferney, das Goethe während seiner zweiten Schweizreise besucht hatte.
Am Sonnabend, dem 16. Juni, stand auf unserem Programm eine Stadtführung in Lausanne mit einem örtlichen Stadtführer. Lausanne, einst ein Dorf, ist heute eine schöne, alte Stadt mit einer Metro, Fünf-Sterne-Hotels, Parkanlagen, Olympischem Museum. Vier offizielle Landessprachen sind hier vertreten: 64 Prozent Deutsch, 23 Prozent Französisch, acht Prozent Italienisch und 0,5 Prozent Rätoromanisch sowie weitere.
Wir besichtigten den Dom, der 1275 erbaut wurde und sahen sehr moderne und viele uralte Häuser – eine wirklich sehenswerte Stadt! Auch Goethe war natürlich hier und wusste diese Stadt zu schätzen. Sie besteht aus Ober- und Unterstadt, nur durch Treppen und Tunnel, auch durch Brücken verbunden.
Danach fuhren wir weiter zur Weinverkostung nach Lavaux – und per Schiff ging es wieder zurück ins Hotel.
Am Sonntag, dem 17. Juni, nahmen wir Abschied von der Schweiz, fuhren über Bern, Zürich, um beim Rheinfall Schaffhausen einen Halt einzulegen. Fantastisch, was die Natur hier geschaffen hat, es wurde seinerzeit auch von Goethe bewundert. Während unserer Rückreise gab es für alle eine Überraschung: Frau Kemter hatte ein Picknick organisiert – unentgeltlich – worüber wir uns alle freuten und bedankten. Spendiert wurde es übrigens vom Reisebüro TRI TOURS.
So konnten wir gestärkt an unseren Heimatorten Erfurt und Gera eintreffen. Es war eine sehr schöne, erlebnisreiche Reise.
Renate Dalgas

Goethe und Eckermann

Vortrag von Otti Planerer am 8. Mai 2018

Über allen Gipfeln ist Ruh …
Eckermann und Goethe – Blasrohr und Flöte – so spottete der Dichter Nikolaus
Lenau über die beiden, denn sie waren so verschieden, wie diese zwei
Blasinstrumente. Es war das Verhältnis des Anhängers zu seinem Idol, der
schwachen zur starken Persönlichkeit. Darüber sprach die Referentin.
Eckermann war nie Goethes Sekretär, wie oft behauptet wird. Herablassend nannte
Goethe ihn den „braven Eckermann, der eine einfache, reine Seele“ ist.
Wie die Referentin sagte, habe Jens Sparschuh über die beiden ein vergnügliches Buch geschrieben „Der große
Coup“. Der große Coup, das ist die Suche von Goethe und Eckermann nach möglichen
letzten Worten von Goethe auf dem Sterbebett, die als unsterblich der Nachwelt
hinterlassen werden sollen.
Aus Eckermanns Verzweiflung bei der Suche nach dem passenden Satz für den großen
Coup und Goethes Eitelkeit, ist ein sehr vergnügliches Buch geworden.
Die Gespräche zwischen den beiden sind frei erfunden, fügte die Referentin hinzu und empfahl die Lektüre.

Ausflug nach Kulmbach

Schönes Wetter hatten wir uns für diesen Ausflug am 21. April 2018 nach Oberfranken gewünscht – und wir bekamen es. Um 7.30 Uhr startete der Bus vom Erfurter Hauptbahnhof nach Gera, wo die Geraer Goethefreunde schon warteten. Nach herzlichen Begrüßungen aller Vereinsmitglieder sowie durch unseren Vorsitzenden Bernd Kemter und seiner Ehefrau Angelika fuhren wir nun unserem Ziel – Kulmbach – entgegen. Zwei Stunden lang fuhren wir durch eine herrliche, erwachende Natur – Frühlingszeit.
In Kulmbach angekommen, wurden wir herzlich von Klaus Köstner, Mitglied des dortigen Literaturvereins, empfangen und herzlich begrüßt. Es folgte eine Überraschung: Wir begaben uns zum Frühlingsfest auf den Marktplatz und wurden ALLE zu einem Bratwurst- oder Käsebrötchenessen von den Kulmbacher Freunden eingeladen. Alles war bestens organisiert. Wir freuten uns sehr über diese kleine Überraschung und bedankten uns herzlich bei Klaus, und damit bei den Kulmbacher Freunden.
Dann stellte er uns den Stadtführer, Herrn Bergmann, vor, der uns seine sehr schöne Heimatstadt, ihr geschichtliches Werden und Wachsen zeigte, erklärte und erzählte.
Los ging’s am Mönchshof-Museum zum Luitpoldbrunnen auf dem Marktplatz zum „Kleinen Rathaus“. Es besitzt eine schöne Rokokofassade – erbaut 1752. Nicht weit entfernt liegt der Burgberg mit der Plassenburg – seit 1340 Eigentum der Hohenzollern. Dann sahen wir ein Reformator-Denkmal von Johann Eck. Der war Freund von Martin Luther und in Kulmbach tätig. Hier, in Kulmbach sind 72 Prozent aller Einwohner evangelische Christen, wie uns der Stadtführer erzählte. Wir kamen an einem uralten Badehaus vorbei, es wurde 1398 erstmals erwähnt und sahen ebenso ein Prinzessinnenhaus – bewohnt Mitte des 18. Jahrhunderts von der in Ungnade gefallenen ledigen Bayreuther Prinzessin Christiane Sophie. Im Jahre 1516 wurde eine Schützengesellschaft gebildet, die dann in den folgenden Jahren Schützenfeste veranstaltete. Zahlreiche wunderschöne alte Kirchen und Burgen stehen in und um Kulmbach, zum Teil in Kriegen zerstört, aber immer wieder aufgebaut.
Nachdem wir einen kleinen Berg erstiegen hatten, stand vor uns die einzige katholische Kirche „Unserer lieben Frauen“. Hier endete die Stadtführung, und wir fuhren zum Museumskomplex, der ein Bäckerei-, Brauerei- und Gewürzmuseum beherbergt. Alls hatten die Wahl der Besichtigung. Da Kulmbach berühmt war und ist für seine Brauereien, zog es natürlich viele von uns ins Brauereimuseum. Begeisterung pur bei uns allen!
Am Nachmittag fuhren wir zur Frankenfarm bei Himmelkron. Hier gab es ein reichliches Büfett von Schnitzel-Variationen. Großartig!
Etwa um 19 Uhr traten wir die Rückfahrt an. Es war eine sehr erlebnisreiche Reise – sehr gut organisiert, wofür wir dem Kulmbacher Literaturverein herzlichst DANKE sagen.
Renate Dalgas

Von der schlesischen Nachtigall zur preußischen Sappho – Anna Louise Karsch

Vortrag von Prof. Hannelore Scholz-Lübbering, Berlin, am 10. April 2018

Wer in Berlin die evangelische Sophienkirche in Mitte (Spandauer Vorstadt) besucht, findet an der Nordwand eine Erinnerungstafel mit der Inschrift: „Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach ‚Kennst Du, Wanderer sie nicht, so gehe und lerne sie kennen’.“
Auch wenn sie heute aufgrund feministischer Forschungsbemühungen punktuell im Wissenschaftsdiskurs zu finden ist, Neuauflagen ihrer Gedichte vorliegen (Barbara Becker-Cantarino), der Briefwechsel nicht nur mit Gleim wichtige Aufschlüsse gibt und die „Sapphischen Lieder“ eine bemerkenswerte Lücke in der Publikation ihrer Werke schließen – das Phänomen Karschin gilt es noch genauer zu entdecken. Dies gilt insbesondere für ihr Leben und Wirken in Schlesien und Polen.Zu ihrer Zeit war sie eine bekannte Größe nicht nur im Berlin Friedrichs des Großen. Sie wurde von Dichtern und Kritikern wie Gleim, Gerstenberg, Sulzer, Ramler oder auch Nicolai als Naturtalent und „Wunderfrau“ gepriesen. Goethe schätzte sie und selbst Fontane fand Spuren in Tamsel und lobte ihre Briefe als ein „vortreffliches Zeitbild“.
In der Karsch-Forschung ist auffällig, dass von Beginn an ihr Schreiben mit Blick auf ihr Leben Beachtung fand. Es sind auch weniger die Gedichte, obwohl einige heute noch durchaus ihren Rang behaupten können, sondern vor allem ihre Briefe, die ihr tägliches Leben, ihr Denken, ihre Gefühle offenbaren und damit eine bemerkenswert unkonventionelle Frau und ein lebendiges Zeitbild vor uns erstehen lassen.
Dass Leben Schreiben ist, ist uns auch von anderen schreibenden Frauen im 18. Jahrhundert bekannt. Die Karsch oder auch Karschin, wie sie genannt wurde, ist aber die einzige Autorin in dieser Zeit, die aus dem vierten Stand stammt und von der schlesischen Kuhhirtin zur europäisch anerkannten Autorin avancieren konnte. Das wiederum gelang nicht nur durch Lieder, Einfälle und Briefe, sondern auch durch sehr geschickt inszenierte Anpassungsstrategien und Selbstinszenierungen.
In meinem Beitrag möchte ich ihre Anpassungsstrategien im Kontext ihrer Lebenssituationen und Schreibmotivationen beleuchten.E s geht um Brüche und Kontinuitäten in ihren zwei entscheidenden Lebens- und Schreibzusammenhängen: Schlesien/Polen und Berlin.
Mit ihrer Übersiedlung 1761 in die Residenzstadt Berlin prägten Preußen und sein kulturelles Klima ihr Dichten und ihr Wirken. Dieses Preußen war durch den Siebenjährigen Krieg einer Nationalisierung ausgesetzt und in den europäischen Aufklärungsdiskurs eingebunden. In diesem Kontext erregt das Werk der Karschin nicht nur nationales Aufsehen, sondern auch europäisches.
Mein Interesse gilt den Fragen: Welche Strategie entwickelte sie als Regionaldichterin und Grenzgängerin zwischen Schlesien und Polen? Wie gelang es ihr, das Dichten im preußischen Berlin so wirkungsvoll zu präsentieren, dass sie, wenn auch nicht üppig, davon leben konnte?
In „Belloisens Lebenslauf“ schreibt die Karschin über sich:
„Ich ward geboren ohne feierliche Bitte
Des Kirchspiels ohne Priesterflehn
Hab ich in strohgedeckter Hütte
Das erste Tageslicht gesehn,
Wuchs unter Lämmerchen und Tauben
und Ziegen bis ins fünfte Jahr
[…]
Die Lerche sang für Belloisen,
Und Belloise sang ihr nach.
Die Nachtigall in Elsenssträuchen
Erhub ihr süßes Lied, und ich
Wünscht’ ihr im Tone schon zu gleichen.“
Die Texte „Nachtigallen singen ihre Klagen“ oder „Klagen einer Braut an ihre Nachtigall“ sind poetische Klagelieder.
„Du Sängerin geheimer Klagen,
Geliebte Nachtigall! du singst;
Ach, laß dir meinen Kummer sagen,
Daß du ihn in Gesänge bringst!“
Die Karschin stilisiert sich als schlesische Nachtigall, bisweilen um die Nähe zur Natur zu betonen, und ihre fehlende Bildung auch im Bild der „Lerche“.
„Ohne Muse, ohne Kunst und Schriften
Singt die Lerche, schwebend in den Lüften,
Unaufhörlich ihr pindarisch Lied!
Unter ihr in früher Tagesstunde,
Singt mit bäurisch vollgenommenem Munde
Auch die Einfalt, welche Furchen zieht.“
Ihre sehr rege Phantasie treibt bisweilen seltsame Blüten. Sie brüstet sich mit kämpferischen patriotisch-nationalen Kriegsliedern, pathetisch klingenden Oden und kann gleichzeitig mit heiter-ironischem anakreontischen Geplänkel verblüffen. Eine „Wunderfrau“, die erstaunen lässt.
Anna Louisa Dürbach wurde am 1. Dezember 1722 in Hammer in der Nähe von Züllichau in der Grafschaft Glogau geboren. Sie war das dritte Kind des Bierbrauers und Schankwirts Christian Dürbach, der eine abgelegene Meierei in der Nähe der polnischen Grenze gepachtet hatte. Ihre Mutter war eine Försterstochter, die Analphabetin war, aber gut singen und tanzen konnte. Der Großonkel lehrte sie Lesen, Schreiben, Rechnen und etwas Latein. Knapp sechzehnjährig hat man sie mit dem älteren, wohlhabenden, aber geizigen Kauf- und Handelsmann Michael Hiersekorn verheiratet. Vier Wochen nach der Vermählung schrieb sie ihr erstes überliefertes Gedicht „Neujahrswunsch an den Rinderhirten“.
Adressat ist der Rinderhirte Johann Christoph Grafe, ihm verdankt sie ihre weiteren Bildungserlebnisse. Er lieh ihr Bücher, wohl auch selbstverfertigte Verse. Zu ihm entwickelte sie eine intensive, ein Leben lang anhaltende Freundschaft. Es ist sicher kein Zufall, dass er genau zu dem Zeitpunkt von Tirschtiegel nach Schwiebus übersiedelt, als Hiersekorn seine noch nicht 20-jährige Frau hochschwanger (mit dem vierten Kind) aus dem Hause jagt. Es ist vermutlich die erste Scheidung in Preußen. Sie zieht nach Schwiebus.
1742 fiel Schwiebus an das preußisch gewordene Schlesien, und damit erlangten die Einwohnerinnen und Einwohner auch ihre Religionsfreiheit zurück. Ihre Zeit von 1722 bis zu ihrer Abreise nach Berlin hat Ernst Josef Krzywon akribisch beleuchtet und Interpretationen zu auserwählten Liedern geliefert.
Von den 49 Texten aus schlesisch-polnischer Zeit entfallen
sechs auf die Schwiebuser Zeit (1738 bis 1749),
drei auf die Fraustädter Zeit (1749 bis 1755),
28 auf die Glogauer Zeit (1755 bis 1761).
Ihre Texte sind aufschlussreiche Spiegelungen ihres Lebens und ihrer Umwelt und bieten von daher Material für Einblicke in das bäuerliche Leben in der Grenzregion. In diesem Rahmen ist die Gelegenheitsdichtung aus weiblicher Perspektive zu bedenken.
1749 heiratete die 27-Jährige den Wanderschneider Daniel Karsch. Sie siedelten in das polnische Fraustadt (Wszowa) über. Die Stadt war stark deutsch geprägt, Deutsch war auch Amtssprache. Dies war eine entscheidende Voraussetzung zur Weiterentwicklung von Karschins Lese- und Schreibpraxis. Durch Pastor Herold befördert, dessen Predigt sie in Reimverse übertrug und in dessen Gegenwart sie erste Proben ihrer Improvisationskunst gab, erlangte sie rasch regionalen Dichterinnenruhm vom polnischen Lissa (Leszno) bis zum preußisch-schlesischen Glogau. Aus bitterer Not und aus Freude am Fabulieren wurde sie zur deutsch-polnischen Grenzgängerin, die als Wander- und Bettelpoetin in bürgerliche Häuser geladen ihre Reimkunst zu allen möglichen Anlässen zum Besten gab.
Durch Vermittlung las sie die Werke des von Goethe geschätzten schlesischen Lyrikers Christian Günther (1695-1723), Johann von Bessers (1654-1729) und Christian Fürchtegott Gellerts (1715-1769). Sie beschäftigte sich mit Klopstocks „Messias“. Edward Youngs „Klagen oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit“ beeindruckten sie tief.
Sein Lob des spontanen und intuitiven Dichtens, die Verachtung der Gelehrsamkeit und sein Kult des Originalgenies als Werk der Natur mussten bei ihr auf Sympathie stoßen.
Wesensverwandter waren der Karschin wohl aber die Gedichte ihres Landsmannes Günther, der wie sie eine besondere Rolle in der Literaturgeschichte spielt. Er wie sie schrieben Gedichte auf Bestellung, lebten als freiberuflich Dichtende und kämpften zeitlebens vergeblich um eine sichere Existenz.
Diese Lektüre sowie das Lob ihrer Freunde inspirierten die Karschin zu noch intensiverem Schaffen und führte zum ersten Druck des verschollenen „Hochzeitsliedes“ für den Postmeister Körber aus Lissa: „…mein Genie war jetzt gleich einem Vogel, der zum ersten Mal sich seiner Gabe zu fliegen bewusst ist“.
Sie wird ihre Leseerfahrungen wie ihre Bildung überhaupt verschweigen, um das Naive, Unbewußte ihrer Liederproduktion zu betonen. Mit dieser Strategie konnte sie mehr Bewunderung erreichen, die Wirkungsabsicht gelingt über Jahre so gut, dass sie 1762 an Sulzer schreibt: „Sagen Sie, meiner ganzen lobsprechenden freundlichen Welt, daß sie aufhören soll, mich ein Wunderwerk zu nennen.“
Ein bemerkenswertes Gedicht aus Karschins Fraustädter Zeit ist die zwölfstrophige Ode „An Se. Majestät den König von Polen“, die als Lob-, Staats- und Heldengedicht im Sinne der heroischen Panegyrik inhaltlich wie formal ganz in der Tradition der sogenannten Hofpoeten um Canitz, Besser, Amthor, Pietsch und vor allem Johann Ulrich von König (1688-1744) steht. Es folgte ein weiteres Preisgedicht auf Kurfürst Friedrich August II., der als August III. zugleich König von Polen war.In Schwiebus sang die Karschin ein Lob auf Friedrich, jetzt preist sie den Polenkönig.
An Friedrich:
„ O Land! vergiß des Schröckens Streiche,
Und laß die Freude würksam sein;
Doch frag dein Herz, wenn du dich freuest,
Ob du des Friedrichs würdig seiest.“
Für ihre euphorische Bewunderung Friedrichs, „der Größte aller Großen“, wie sie ihn nennt, gebrauchte die Karschin eine Vielzahl von Metaphern, Epitheta und Topoi, die seit langem in der lyrischen Rechtfertigungstradition des Krieges und im Sprachreservoir des Herrscherlobs vorgeprägt waren. Für die Karschin der Glogauer Zeit – und darin stimmte sie sogar mit Gottsched überein – besaß der Herrscher, ob er nun August III. oder Friedrich II. war, die Weihe des Gottesgnadentums und die Würde göttlicher Sendung, die sich auch im Feldzug und vor allem in Siegen offenbarte. Die Idee des weisen und mächtigen Friedensfürsten, dem Ehrfurcht und Lob gebührt, gab ihrer Dichtung die entscheidende Sendung und auferlegten Selbstauftrag. Ihre Lobgedichte auf Friedrich waren deshalb keineswegs nur fürstendienende Schmeichelei, sondern bewusste Überhöhung der Wirklichkeit.
In der Abfolge der Siege Friedrichs schrieb und publizierte die Karschin ihre Glogauer Kriegsgedichte, angefangen von Lobositz (1. Oktober 1756) über Leuthen (5. Dezember 1758) und Torgau (3. November 1760).Die gedruckten Flugschriften dieser Kriegslyrik verbreitete n sich rasch, zum Beispiel die Ode „Freudige Empfindungen redlicher Herzen“.
Wenn die Karschin gerufen wurde, bediente sie sich des Klischees einer armen Schneidersfrau, die mit Körbchen am Arm um Almosen betteln musste. Ein Fremder, der die Identität der Wanderpoetin nicht kannte, gibt ein anschauliches Bild: „Eine Schneidersfrau in Glogau […] war es. […]sie hat damals auf den Sieg bey Leuthen eine Ode gemacht, die gewiß schön war. Ich habe vierzehn Exemplare davon an meine gutten Freunde verschickt. Wir ließen sie einige Tage nach dem Dankfest in eine Gesellschaft rufen. Sie kam, ein Körbchen in der Hand, theilte Exemplare unter uns aus und fast einem jedweden einen Vers, der sich auf seinen Zustand schickte. […]Es war ein fatales Porträt […] hässlich wie die Erbsünde!“
Neben geistlicher Lyrik, Kriegslyrik und Herrscherlob schrieb die Karschin in der Glogauer Zeit viele Gelegenheitsgedichte profaner wie sakraler Art. Vorherrschend waren Hochzeits- und Trauergedichte, die den Unterhalt der Familie sichern sollten. Oft erhielt sie Naturalien, Kleidung, kleinere Spenden.
Nun zur preußischen Sappho in Berlin. „Es hat sich hier im Bereiche des Geschmacks eine wunderbare Erscheinung gezeigt: eine große Dichterin, die blos die Natur gebildet hat und die, nur von den Musen gelehrt, große Dinge verspricht. […] Sie besitzt einen ausnehmenden Geist, eine sehr schnelle und sehr glückliche Vorstellungskraft. […] Ich zweifle sehr, ob jemals ein Mensch die Sprache und den Reim so sehr in seiner Gewalt gehabt hat, als diese Frau. Sie setzt sich in einer großen Gesellschaft unter dem Geschwätz von zwölf und mehr Personen hin, schreibt Lieder und Oden, deren sich kein Dichter zu schämen hätte […] darunter viele sind, welche in der griechischen Anthologie eine gute Figur machen würden.“
Mit dieser überschwänglichen Begeisterung kündigt Sulzer dem Dichter und Kritiker Bodmer in Zürich die Ankunft der Karschin in Berlin an. Sie wird wie eine Sensation aufgenommen, mit Neugier beäugt und mit Gunstbezeugungen in Adels- und Bürgerhäusern überschüttet. Das verwundert aus heutiger Sicht auch deshalb, weil sie dem weiblichen Schönheitsideal des 18. Jahrhunderts keineswegs entsprach.Sie war so hässlich, dass Lavater sie in die „Physiognomik“ mit den Worten aufnahm „Lieber keine Verse machen, als so aussehen!“. Er wird es danach im Text relativieren und sie als „geistreich“ charakterisieren und ihre „männliche Stirn“, das „Seherauge“, die „hässliche Nase“, das „beinerne Kinn“ betonen.
Sie weiß darum und sie weiß auch, dass sie ein Kuriosum darstellt. Sie nutzt ihre Popularität, lässt Bewunderung, Mitleid und Taxieren ihrer Fähigkeiten bewusst zu, um ihre Ansprüche und Vorstellungen durchzusetzen. Sie wurde nicht manipuliert, sie manipulierte und entzog sich den ihr nicht passenden „Verbesserungsvorschlägen“ der Berliner Aufklärer. Gleim wollte sie bekanntermaßen zur „deutschen Sappho“ machen, und Ramler sollte ihr das richtige Versmaß beibringen. Ich bezeichne sie in Anlehnung an Gerhard Wolf als „preußische Sappho“, weil sie stark von der Berlinisch-preußischen Kulturlandschaft nach 1761 geprägt wurde.Sie konnte weder die „Fesseln de r Kunst“ erdulden noch Regeln anerkennen. Ihr Verständnis als Schreibende war das einer Produzierenden, die Dienstleistungen erbringt, für die sie entlohnt wird, um ihre immer größer werdende Familie zu ernähren. Das war in Schlesien so und wird sich in Berlin fortsetzen.
Mit ihrer schnellen Auffassungsgabe und ihrer Aufmerksamkeit, die sie bei Hof erregt, finden sich auch Neider. Sie geht auf die ihr zugewiesenen Rollen ein. Sie ist die Naive aus dem Volk, die durch ihr „Genie“ imponiert. Sie fällt allerdings immer wieder aus dieser Rolle heraus, weil sie spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, weil sie Anstandsregeln und Politur nicht beachten will. Auch in Berlin bleibt sie angewiesen auf milde Gaben und hat keine ausreichende Häuslichkeit und Versorgung. Ihre mehr als 1000 Briefe an Gleim sind dafür beredtes Zeugnis. Diese gehören zu der wohl wichtigsten Leistung ihres Lebens. Einer Publikation hat sie nicht zugestimmt. In Gleim sah sie nicht nur den Bewunderer und Lehrer, sondern sie projizierte auch ihre ungestillte Liebeserwartung auf ihn. Alles, was er ihr empfiehlt – Homer, Pindar, Xenophon, Plutarch -, verschlingt sie mit großem Eifer. Er verspricht die Publikation ihrer Gedichte, muss sie als Frau aber gleichzeitig abwehren, weil er ihr Liebesbegehren nicht teilen kann. Sie akzeptiert das, nennt ihn Thyrsis, sich Sappho, unterzeichnet sehr anspruchsvoll so ihre Oden und muss sich gefallen lassen, verlacht zu werden.
„Sing ich Lieder für der Liebe Kenner:
Dann denk ich den zärtlichsten der Männer
Den ich immer wünschte, nie erhielt,
Keine Gattin küsste je getreuer,
Als ich in der Sappho sanftem Feuer
Lippen küsste, die ich nie gefühlt.“
Sie kann nicht selbstbewusst wie Charlotte Unzer, die „Unzerin“, wie die Karschin sie nennt, Gleim Paroli bieten oder wie Melpomene Trauergesänge dichten. Ihr steht allein eine soziale Erfahrung als Basis für ihre Poesie zur Verfügung.
„Meine Jugend war gedrückt von Sorgen,
[…]
Ohne Regung, die ich oft beschreibe,
Ohne Zärtlichkeit ward ich zum Weibe,
Ward zur Mutter! wie im wilden Krieg,
Unverliebt ein Mädchen werden müßte,
Die ein Krieger halb erzwungen küsste […] “
Als die Karschin in Berlin eintraf, war sie 39 Jahre alt und in Begleitung ihrer elfjährigen Tochter. Der Sohn blieb zur Erziehung in Boyadel. In der Forschung wird dieses Faktum ihrer Übersiedlung nach Berlin als gönnerhaftes Verhalten des Barons von Kottwitz kommentiert. Für unseren Ansatz ist interessant, wie die Tochter Caroline von Klencke das erklärt. Baron von Kottwitz hatte der Karschin eine wertvolle Tabakdose geschenkt und unter dem Tabak waren sechs Goldtaler gemischt. „Sie glühete ihren Dank in Gesängen aus; der Baron ward davon bezaubert, und stellte ihr frei, daß sie von ihm etwas bitten sollte, was zu ihrem Glücke beitragen könnte.“
Sie zögerte nicht lange und bat ihn, sie mit auf seine Reise nach Berlin zu nehmen. Das ist ganz offensichtlich ein dreistes Ansinnen, aber in ihrer Lage zeugt es auch von Realitätssinn. Sie musste die Situation ausnutzen, um ihren trunksüchtigen Ehemann loszuwerden, und sie vermutete in der Stadt mehr Verdienstmöglichkeiten. Ihre Strategie sollte aufgehen.
Es sind wiederum, wie schon in Schlesien und Polen, die Loblieder auf Friedrich den Großen und ihre Stegreifdichtungen, die zu ihrem plötzlichen Ruhm in Berlin führten. Berlin war vor dem Machtantritt Friedrichs II. kein Kulturzentrum. Allerdings ist nach Hermsdorf die Ausgangslage der Berliner Literatur Gebrauchsliteratur. Das literarische Leben wird wesentlich bestimmt von dem persönlichen Verhältnis zwischen Autorin/Autor und Auftraggeberin/Auftraggeber in einem lokalen Umfeld. Die Residenzen Potsdam und Berlin wurden unter Friedrich II. Schauplätze eines preußischen Modells einer Kulturpolitik des aufgeklärten Absolutismus.Die Besonderheit Berlins bestand darin, dass die Sprachen des kulturellen Lebens am Hof und in der Stadt unterschiedlich waren: Französisch und Deutsch.
Goethes Erzählung über den Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) bezeugt, in welchem Maße der wechselvolle Verlauf den Rahmen der herkömmlichen Kabinettskriege sprengte. Er wirkte ganz offensichtlich nicht nur bei ihm, sondern auch bei der Karschin als der Einbruch einer unerhörten Art von Wirklichkeit in den Alltag. Die Folge war eine Politisierung des Denkens.
Seit Eröffnung dieser Kämpfe 1756 versorgte Ewald von Kleist Gleim in Halberstadt mit brieflichen Nachrichten vom Kriegsschauplatz. Unter ihrem Eindruck schrieb Gleim seine „Preußischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier.“ Sie erschienen zunächst als Flugblätter, später beteiligten sich Ewald von Kleist, Ramler, Peter Uz an der Überarbeitung der Texte, und es war Lessing, der sie zusammenstellte und mit einem „Vorbericht“ bei seinem Berliner Verleger Voß herausgab.An dieser Aktion patriotischer Propaganda nahm als einzige Schriftstellerin in Schlesien auch die Karsch teil.
Ihre Kriegslieder verraten ein naiv zutrauliches Verhältnis zu einem König und Feldherrn, für den doch auch sprach, dass er persönlich im Krieg präsent war. Die Karschin hat mit ihrem „Hymnus auf den Sieg des Königs bei Torgau vom 3. November 1760“ eingestimmt in die Freudenausbrüche der Bevölkerung.
„[…]
Der König winkt, die Reuter falten
Ernsthaft die Stirnen und ihr Arm
Wird ihren Feinden schwer. Geschwungene Säbel spalten
Den Kopf, und vom Gehirn noch warm
Zerfleischt das Schwert die Eingeweide.“
Mendelssohn, der die „Briefe, die Neueste Litteratur betreffend“ herausgibt, kommentiert im 143. Brief vom 12. Februar 1761 diese Strophen: „Welches Gemälde! Sagen Sie mir doch, ob es wahr ist, daß die Reuter die Stirnen falten, wenn sie einhauen! Der Zug ist erhaben, und so viel ich weiß, noch ungebraucht. Ich begreife nicht, wie ein unkriegerisches Frauenzimmer auf diese Bemerkung hat zuerst kommen können.“
Die Karschin hat Friedrichs Siege besungen, schreibt für die komponierende Prinzessin Amalia den Text zu einer Kantate und nutzt jede Gelegenheit, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.
Am 11. August 1763 hat sie die gewünschte Audienz bei Friedrich II. Rasch wurden noch zwei Gedichte ins Französische übersetzt. Sie hatte sich ein Haus erträumt; sie wird es zunächst nicht erhalten. 1773 – also zehn Jahre später erhielt sie vom Hof ein Gnadengeschenk von zwei Talern. Sie schreibt statt eines Dankbriefes:
„Zwey Taler gibt kein großer König,
Ein solch Geschenk vergrößert nicht das Glück,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zurück“
Sie, die sich solchen Stolz sozial nicht leisten kann, gab nicht auf. 1783, weitere zehn Jahre später, erhält sie drei Taler. Sie bestätigte den Empfang mit den Worten:
„Seine Majestät befahlen
Mir, anstatt ein Haus zu baun
[…]
Aber für drei Taler kann
Zu Berlin kein Hobelmann
Mir mein letztes Haus erbauen“.
Erst nach dem Tode des Alten Fritz’ sollte die Karschin auf ungewöhnliche Weise ihren Wunsch doch noch realisiert sehen.
Caroline von Klencke beschreibt, dass ihre Mutter sich wegen einer Freundin und deren Naturalienkabinett an die Gouvernante der regierenden Königin von Preußen wandte. Sie erhielt die Auskunft, dass der König zunächst alle Schulden des verstorbenen Königs bezahlen müsse. Es bestätigt wieder einmal ihre Geistesgegenwart und Bauernschläue, dass sie in dem Moment die Schulden ihr gegenüber auch einfordert. Das Haus als „Gnadengeschenk“ wurde am „Haakschen Markt“ gebaut.Das Haus war für sie eine neue Hoffnung. Sie lud viele B ekannte und Freunde ein, behielt aber ihre alte Gewohnheit bei. „Noch immer blieb sie halbe Tage an den Schreibtisch gefesselt, und ging die übrige Zeit in die kleinen Zirkel ihrer liebsten Freunde.“ Noch drei Tage vor ihrem Tod wird sie diese Strategie verfolgen.
Fazit
In den schlesisch-polnischen Jahren der Karschin entwickelt sie ihre Gelegenheitsdichtung ebenso wie ihre politische Lyrik und orientiert sich an dem überlieferten Formenbestand. Für unsere Fragestellung ist von Belang, dass sie trotz Druckfassungen diese nicht nur persönlich an die betroffenen Personen verteilt, sondern auch im Beisein von einem kleineren oder größeren Personenkreis ihre Improvisationen in Schnelligkeit liefert. Ich möchte das „situatives Improvisieren“ nennen. Diese Strategie hat einerseits nicht unerheblich zu ihrem Ruhm beigetragen, hat andererseits aber auch die Kritiker herausgefordert. Die Schnelligkeit ihres Reimes galt als Indiz für ihre Natürlichkeit.
Mit Gedichten wie „Das ständige Einerlei“ und „Schlesisches Bauerngespräch“ überschreitet sie die Normen der Gelegenheitsdichtung. Ich zitiere Krzywon: „Im Medium der lokal eng begrenzten Sprache eines einzigen ländlichen Ortes, der Ortsmundart und beschränkt auf den Bauernstand, wenn auch in durchgehend bewusster Kontrastierung mit dem Städter, wird in Karschins Dialogwechsel „Schlesisches Bauerngespräch“ (Bauer/Vetter Hans ist bei Muhme Orte zu Besuch, H. S.) die äußere und innere Welt eines schlesischen Bauern um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Kontext des Siebenjährigen Krieges realistisch und alltagsnah geschildert, stets vor dem Hintergrund desironisierten Stadtlebens.“
Sie positioniert sich politisch auf Seiten des preußischen Königs Friedrich II. Das ist verständlich aus der Sicht einer schlesischen Protestantin, deren Religionsfreiheit in österreichisch-kaiserlicher Zeit gewaltsam unterdrückt wurde.
In ihrem vorberlinischem Leben überschneiden sich zwei Kulturrichtungen, die höfische und die nichthöfisch-bürgerliche, in ihrem Fall bäuerliche Welt. Als Übergangssängerin formuliert die Karschin sowohl Adelskritik am Hof als auch das Elend der Bauern, die dem Fortschrittsglauben auf bessere Zeiten misstrauen. Sie singt Loblieder auf fürstliche Häupter und Könige und gibt den bäuerlichen Unterschichten eine Stimme.
In regionalliterarischer Sicht schließt sie damit auch nach Krzywon eine Lücke zwischen dem Scherzspiel „Die geliebte Dornrose“ von Andreas Gryphius und Karl von Holteis „Schlesischen Gedichten“. Die schlesisch-polnische Lebens- und Wirkungszeit der Karschin ist noch unzureichend erforscht.
Auch in Berlin bleibt sie ihrer erprobten Strategie treu. Sie sucht fast immer selbst die Nähe und Bekanntschaft wichtiger Personen, weil sie „Gramdulderin“ und „Sorgenträgerin“ bis ans Grab blieb. Ihr Ruhm als „Naturtalent“ und „Wunderfrau“ machte sie zu einem unterhaltsamen Faszinosum, einem Berliner Original. Sie konnte und wollte der von Gleim ihr zugedachten Rolle als „deutsche Sappho“ nicht entsprechen. Im Bild der Sappho hatten die männlichen Aufklärer ihre eigene antikisierende Dichtungstradition auf sie übertragen. Sie verglichen sich mit Vergil, Horaz oder Anakreon – als einzige weibliche Ausnahme blieb Sappho.
Die Dichtung der Karschin ist einerseits im Kontext der Volkspoesiedebatte des 18. Jahrhunderts anzusiedeln und auch durch sie im Auf und Ab der Kritiken zu verstehen, besonders der Paradigmenwechsel in Herders Kritiken. Andererseits ist sie weder der Anakreontik, Empfindsamkeit, Spätaufklärung oder dem Sturm und Drang zuzuordnen. Hannelore Schlaffer bringt es auf den Punkt: „Sie war eine Figur zwischen den Zeiten und zog daraus ihren Ruhm. Die Verblüffung, die sie hervorrief, entstand aus der Verwirrung der Maßstäbe, die Dichter und Gesellschaft hatten.“
Mit Blick auf die Karschin als Frau und Dichterin wären diese Maßstäbe zu differenzier

Ausflug zur Weidaer Osterburg

Unser Ausflug am 3. März 2018 führte uns nach Weida auf die Osterburg. Dieses imposante Gemäuer war einst Stammsitz der Vögte, dessen Herrschaftsbereich bis ins Regnitzland reichte. Zunächst besuchten wir das Museum, bewunderten die Atomuhr, machten uns mit bedeutenden gebürtigen Weidaer Wissenschaftlern und deren Erfindungen bekannt, erlebten den 360-Grad Raum. Hier werden Ansichten des Umlandes direkt auf die Ziegelmauer projiziert, und wir erlebten auf diese beeindruckende Weise die Geschichte der Reußen und die Schönheit ihres Landes. Wer wollte, konnte natürlich auch den Bergfried weiter besteigen – eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit.
Anschließend begaben wir uns ins Burgrestaurant, ins stilvolle, anheimelnde Tonnengewölbe. Dort genossen wir Kaffee und Kuchen. Einige Kulmbacher und Goethefreunde lasen aus ihren Manuskripten.
Höhepunkt war natürlich das deftige Ritteressen, zu dem uns ein uriger Spielmann aufspielte. Seine Scherze und munteren Wortspiele brachten uns zum Lachen.
So verlebten wir einen schönen Tag, der Bus brachte die Geraer und Erfurter unter Gesang nach Hause. Unsere Kulmbacher Literaturfreunde kamen in ihren PKW ebenfalls wohlbehalten in ihrer Heimatstadt an.

Meine Lieder schossen auf wie die Nesseln. Denkwürdiges über Wilhelmine von Chezy

Vortrag von Dr. Maria-Verena Leistner, Leipzig, am 6. März 2018

In der Zeit zwischen 1815 und 1830 gehörte Wilhelmine von Chezy, auch Helmina oder Helmine genannt, zu den bekanntesten Schriftstellerinnen. Heute wird ihr Name lediglich als Librettistin von Carl Maria von Webers Oper „Euryanthe“ oder Verfasserin des Textes zu Franz Schuberts Schauspielmusik „Rosamunde“ genannt. Ihr Gedicht „Ach wie wär‘s möglich dann“ ist zum Volkslied geworden. Sie wurde als Wilhelmine Christiane von Klencke am 26. Januar 1783 in Berlin geboren. Da war die Ehe der Eltern bereits geschieden und das Mädchen wuchs unter der Obhut von Mutter, Caroline Luise von Klencke (1750-1802), und Großmutter, Anna Luise Karsch (1722-1791), auf. Beide Frauen waren Schriftstellerinnen, die Großmutter – genannt: die Karschin – in ihrer Zeit eine Berühmtheit, der auch Goethe im Mai 1778 seine Aufwartung machte. Wilhelmine besuchte keine Schule, die Mutter unterrichte sie zu Hause, Zeichnen lernte sie bei Daniel Chodowiecki und das Lesen wurde ihr früh zur Leidenschaft.
Im August 1799, da war sie sechzehneinhalb Jahre alt, wurde Helmina mit dem Offizier Karl Gustav von Hastfer verheiratet. Schon 15 Monate später erzwang sie – unter Preisgabe des gesamten Vermögens – die Scheidung. Die Frage nach der weiteren Lebensgestaltung half ein Zufall lösen. Helmina lernte die in Berlin lebende französische Emigrantin und Erfolgsautorin Felicité de Genlis kennen, die die junge Frau zu sich nach Paris einlud und dort für sie zu sorgen versprach. Die Warnungen, da die Genlis in der Gesellschaft einen etwas zweifelhaften Ruf genoss, schlug Helmina in den Wind und reiste im Mai 1801 nach Paris. Außer Unterricht im Französischen erhielt sie nicht die versprochene „mütterliche Liebe und Sorgfalt“. Helmina war nun ganz auf sich verwiesen. Eine Stelle als Erzieherin fand sie nicht – man nahm Anstoß daran, dass sie eine geschiedene Frau war. Mit großem Lerneifer holte sie an Bildung nach, was ihr bisher vorenthalten worden war. Sie besuchte die Pariser Nationalbibliothek und die Nationalgalerie und lernte ohne Anleitung Altfranzösisch, Italienisch, Spanisch und Englisch. Sie verschaffte sich Zugang zu verschiedenen Salons und suchte Kontakte zu Literaten und Verlegern.
Mit der von der Großmutter Karsch geerbten Lust zum Schreiben hatte bereits in Berlin die vierzehnjährige Helmina einen Roman begonnen und war von Jean Paul zu weiterer literarischer Arbeit ermuntert worden. In ihm sah sie fortan ihren Mentor und hielt den Kontakt zu ihm über 22 Jahre hin aufrecht. In Paris nun musste sie ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdienen. Es waren vor allem Berichte zur Zeitgeschichte und zur aktuellen Kunst, die von deutschen Verlegern veröffentlicht wurden. Dazu erschienen ab 1807 Gedichte, die ihr leicht aus der Feder flossen. Darin kamen häufig Naturerlebnisse und Gemütsverfassungen zum Ausdruck. Ganz in der Tradition der Karschin schrieb sie auch Widmungsgedichte auf hochgestellte Personen, die ihr ab und zu mit wertvollen Geschenken dafür dankten. Unter dem Titel „Gedichte der Enkelin der Karschin“ erschienen 1812 die frühen Arbeiten in zwei Bänden und verschafften der Autorin Helmina einen Platz auf dem literarischen Markt.
Im Hause von Friedrich und Dorothea Schlegel lernte sie den zehn Jahre älteren Orientalisten Antoine Léonard de Chézy kennen. 1805 wurde geheiratet und Helmina nahm anfangs aktiv an den wissenschaftlichen Arbeiten ihres Mannes teil. 1806 und 1808 wurden die Söhne Wilhelm (später Schriftsteller, gest. 1865) und Max (später Maler, gest. 1846) geboren. Aber innerfamiliäre Spannungen und das Missbehagen in dem sich zur modernen Großstadt entwickelnden Paris bewirkten, dass Helmina 1810 mit den Kindern nach Deutschland zurückkehrte. Ein reger Briefverkehr blieb zwischen den Eheleuten bis zu Chézys Tod 1832 bestehen, und er überwies jährlich 2400 Francs nach Deutschland.
Helminas Leben war fortan von häufig wechselnden Aufenthaltsorten, materieller Not, Krankheit und etlichen Skandalgeschichten gekennzeichnet. Ihr Drang, sozial Bedürftigen Hilfe zukommen zu lassen, brachte sie in Konflikte mit dem Staatsapparat. 1813 organisierte sie in Darmstadt Hilfsaktionen für verwundete Franzosen. 1815 erwirkte sie vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. die Erlaubnis zu Besuchen in Lazaretten in Belgien und am Niederrhein. Weil sie dort Nachlässigkeiten bei der Versorgung Verwundeter aufdeckte, erregte Frau von Chezy das Missfallen der Lazarettverwaltungen, die sich nicht von einer Frau und Schriftstellerin Vorschriften machen lassen wollten. Sie indes ging in ihrem Eifer so weit, in einem Schreiben an den General der Infanterie, Grafen von Gneisenau, die Beschwerden von 33 Invaliden weiterzugeben und von der „Elendigkeit“ zu berichten, die einigen von ihnen widerfahren sei. Diese nach Köln zwecks Überprüfung zurückgesandte Eingabe brachte der Schreiberin eine Verleumdungsklage „wegen Amtsehrbeleidigung königlicher Behörden“ und Vorladung vor das Zuchtpolizeigericht ein. Daraufhin reiste Helmina am 24. Februar 1816 mit ihren Kindern Hals über Kopf aus Köln ab und kam nach vier Wochen in Berlin an, wo sie vor dem preußischen Kammergericht gegen den Vorwurf der Verleumdung kämpfte. Der damals dort tätige Dichter E. T. A. Hoffmann leitete die Untersuchung und bewirkte den Freispruch der Angeklagten.
Daraufhin verließ Helmina Berlin, wo für sie das Leben zu teuer wurde, und lebte von Oktober 1817 bis April 1823 in Dresden. Es waren Jahre eines umfangreichen geselligen Verkehrs und literarischer Produktivität. Mit den Kindern unternahm sie Wanderungen in der Sächsischen Schweiz und schrieb Gedichte auch auf die besuchten Örtlichkeiten. Schon in früheren Jahren hatte Helmina von Chezy sich mit fremdsprachiger Literatur beschäftigt und in Paris zu Friedrich Schlegels Sammlung übersetzter altfranzösischer Literatur beigetragen. Ein erstes Zeugnis für die Beschäftigung mit dem Spanischen war die Übersetzung des Calderón-Dramas „El galan Fantasma“, die sie im November 1816 Goethe zukommen ließ. Nun wurde diese Tätigkeit intensiviert. Gemeinsam mit dem kurhessischen Gesandten in Dresden, Ernst Otto von der Malsburg, übersetzte sie weitere Dramen Calderóns, die in sechs Bänden von 1819 bis 1825 bei Brockhaus in Leipzig erschienen. Es entstanden ebenfalls verschiedene Prosatexte. Eine bis heute bekannt gebliebene Arbeit der Dresdner Zeit war das Libretto zu Carl Maria von Webers Oper „Euryanthe“. Die Zusammenarbeit zwischen 1821 und 1823 gestaltete sich schwierig, weil die Intentionen beider Künstler voneinander abwichen. Es kam zu vielen Umarbeitungen, bevor am 23. Oktober 1823 am Wiener Kärntnertortheater unter Webers Leitung die Uraufführung stattfand. Heute heute wird die Oper nur noch selten gespielt.
Gesundheitliche Beschwerden bei Helmina von Chezy und die Behandlung des an Skrofulose erkrankten Sohnes Wilhelm mit Schwefelbädern erforderten einen Weggang aus Dresden. Zudem hatte sie sich neuerdings ins Gerede gebracht, weil sie einem an Wahnsinn erkrankten Maler ihre Pflege zuteil werden ließ. Wien, das Salzkammergut, München, noch einmal Paris, Baden-Baden, Heidelberg, das Elsaß und schließlich Genf waren die Orte, wo sich Helmina von Chezy – ab 1829 ohne ihre Söhne – in den Jahren bis zu ihrem Tod aufgehalten hat. 28 ihrer Prosatexte gab sie 1824-27 unter dem Titel „Stundenblumen“ in vier Bänden heraus. Im vierten Band ist die Erzählung „In Deo Consilium“ enthalten, in der Erlebnisse sowohl der Dresdner Zeit als auch der ersten in Österreich verbrachten Jahre verarbeitet sind. Gedichte wurden zu dem Band „Herzenstöne auf Pilgerwegen“ (1833) zusammengestellt. In den folgenden Jahren verfasste die Schriftstellerin hauptsächlich publizistische Texte.
In Österreich flammte Frau von Chezys Hilfsbereitschaft für notleidende Menschen noch einmal auf, als sie im Salzkammergut das Elend arbeitslos gewordener Salzbergleute erlebte. Nicht am Versiegen der Salzgewinnung glaubte sie die Ursache dafür zu sehen, sondern an Fehlern in der Verwaltung. Mit Hilfe der Kaiserin Caroline Auguste organisierte sie, dass den Arbeiterfrauen der Region um Hallstatt durch Flachsspinnen eine Verdienstquelle erschlossen wurde. Auch sammelte sie Beschwerden von Bergleuten ein und schickte diese an Kaiser Franz I. Ihn veranlasste die Angst vor sozialem Aufruhr, die Chezy im Dezember 1828 zu einer Audienz zu laden. Er dankte ihr zwar für ihren Einsatz, verwarnte sie zugleich wegen des Eingreifens in staatliche Angelegenheiten. In ihren Erinnerungen resümierte sie: „Zum zweiten Mal in meinem Leben blieb ich unverstanden, und hatte meine Widersacher durch weibliche Einmischung aufgebracht.“
1832 starb Léonard de Chézy an Cholera. Er hatte die Ergebnisse seiner Sanskrit-Studien nicht veröffentlichen können und Helmina kämpfte in Paris um die Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeit. Mit einer schäbigen Summe (1.500 Francs) wurde sie abgefunden, die kostbare Bibliothek musste versteigert werden. Weil ihre Einnahmen allmählich versiegten, bat Helmina von Chezy bei Verlegern um Neuauflagen ihrer Texte, bei Theaterintendanten um Aufführung ihrer Bühnenwerke, hatte aber kaum Erfolg. Geringe materielle Zuwendungen vom preußischen König sowie von der 1842 in Dresden gegründeten Tiedge-Stiftung wurden der notleidenden und zuletzt erblindeten Frau zuerkannt. 1842/43 nahm sie lebhaft Anteil an den demokratischen Debatten und engagierte sich für die Rechte von Frauen. Als die Chezy vom Projekt eines „Armenbuches“ der Bettina von Arnim erfuhr, begann sie mit der Arbeit an einem – Fragment gebliebenen – Buch über soziale Fragen mit dem Titel „Dies Buch gehört Bettinen“. 1853 siedelte sie an den Genfer See über. Dort starb sie am 28. Januar 1856. Zuletzt war aus Schlesien eine Großnichte zu ihr gekommen, der sie ihre Lebenserinnerungen diktierte, die 1858 unter dem Titel „Unvergessenes“ erschienen.

Wolken als Sinnbilder bei Goethe

Vortrag von Martin Blum, Berlin, am 2. November 2017

„Mein Blick war auf den Himmel gerichtet“. Dieser Vers stammt von Goethe und steht leitmotivisch für diesen Vortrag, ist das Augenmerk auf eine ganz besondere Himmelserscheinung gerichtet: Es ist die Rede von den Wolken.

Goethe als Wolkenforscher

In der Sophien-Ausgabe sind allein 1309 Treffer zu verzeichnen, wenn man „Wolken“ eingibt. Da geht die Rede von Silber-,Gold- und Schneewolken, Federwolken, Wolkenbergen und -felsen, Kranich- und Zauberwolken und von einer Wolkensammlerin (gemeint ist eine serbische Schicksalsgöttin).
Warum forschte Goethe auf diesem Gebiet? Da gibt es den Auftrag der Aufklärer, die Welt komplex zu erfassen und zu erforschen. Freilich bleibt immer ein Rest des Unbestimmbaren; ein Rest, der sich der Zuordnung in höhere Zusammenhänge verweigert. Wolken sind der Inbegriff dieses Konflikts: scharfe Konturen und schwebende Auflösung, Verwandeln von Form in Formlosigkeit. Wolken wecken das Gefühl von Erhabenheit, wie es dem jungen Goethe schon passierte. Später trat vermehrt Beobachterinteresse an diese Stelle. Es sind die zweite Schweizer Reise 1779/80, die italienische Reise 1786/88 sowie schwerpunktmäßig die Zeit nach 1815, nachdem Goethe die Wolkenlehre des Engländers Luke Howard zur Kenntnis genommen hatte.
„Die Wolken, eine dem Menschen von Jugend auf so merkwürdige Lufterscheinung, ist man in dem platten Lande doch nur als etwas Fremdes, Überirdisches anzusehen gewohnt. Man betrachtet sie nur als Gäste, als Streichvögel, die unter einem anderen Himmel geboren, von dieser oder jener Gegend bei uns augenblicklich vorbeigezogen kommen; als prächtige Teppiche, womit die
Götter ihre Herrlichkeit vor unseren Augen verschließen.“
Auf seiner italienischen Reise erlebte Goethe riesige Wolkenballungen. Er beschrieb sie in seinem Tagebuch in naturwissenschaftlicher Hinsicht: Gebirge versammeln ungeheure Wolkenmassen, bis sie durch inneren Kampf – Gewitter – als Regen niedergehen. Der „Rest“ entzieht sich der Schwerkraft der Erde, steigt am Gebirge empor, um sich schließlich aufzulösen. Somit betrachtet Goethe den Himmel als Konfliktzone und vertritt die Auffassung, die Erde besitze im belebten Ein- und Ausatmen die Möglichkeit, eine Anziehungskraft zu erzeugen. Auf diese Weise entwirft Goethe die Skizze einer ersten Witterungs- und Wolkenlehre. Später treten weitere Beobachtungen, auch mit Hilfe eines Barometers, hinzu.
Nach 1815 erweitert Goethe seine Studien. Ein Grund ist, dass Herzog Carl August eine Wetterstation bei Weimar plant, weitere kommen hinzu. Zum anderen macht der Herzog Goethe auf Howards Wolkenlehre aufmerksam. Der Engländer führte eine Wolkenordnung ein: Cirrus- oder Federwolken, Kumulus- (Haufen-) und Stratuswolken, letztere als Schichtwolken. Hinzu treten Nimbus, heute Nimbostratus, die Regenwolke sowie Mischformen. Allen Wolkenerscheinungen wird ein eigenes Gedicht gewidmet.
Der „Versuch einer Witterungslehre“ erscheint posthum, es ist sein Hauptwerk auf dem Gebiet der Meteorologie. Er beschreibt auch Winderzeugung und -fahnen, Wasserbildung, Elektrizität, Gebrauch von Barometer, Thermometer, Hygrometer.
Einen Monat vor seinem Tod veranlasste Goethe die Schließung aller Wetterstationen, mit Ausnahme Jenas. Er war zu der Ansicht gelangt, dass aus tropischen Ländern bessere Messergebnisse zu erwarten seien.
Fast alle Thesen Goethes haben ihre Gültigkeit verloren, beispielsweise die Auffassung von der pulsierenden Schwerkraft der Erde. Diese tellurische Annahme hat sich als Irrtum erwiesen, das Wetter bleibt von anderen Gestirnen unbeeinflusst. Die Howard’sche Einteilung gilt allerdings noch, wurde jedoch erweitert. Galten zu Howards Zeiten schließlich sieben Wolkentypen und zehn Mischformen, sind es heutigentags einige mehr: zwanzig Wolkengattungen, 14 -arten und neun Sonderformen.

Goethe als Wolkenpoet

Der Dichter verwandelt die Welt in ein Bild, das er durch die poetische Sprache erzeugt, wie es vor dem geistigen Auge erscheint. Somit erscheinen die Wolken metaphorisch für das Göttliche, die Liebe, die Inspiration, die Poesie und – die Sorge. Es entstehen Wolken als Sinnbilder.
Götter in Wolken erscheinen zu lassen hat eine lange Tradition, sie liegt beispielsweise im Babylonischen, Altindischen, Jüdischen, Muslimischen und Christlichen gegründet. Götter erscheinen ihr Wesen verschleiernd oder auch verkündend. Goethe bedient sich der Götter zum Beispiel in seiner Elegie „Euphrosyne“, im „Faust“-Drama und natürlich im Gedicht „Prometheus“: Zeus im Wolkendunst. Im West-Östlichen Diwan heißt es:

Die Sonne, Helios der Griechen,
Fährt prächtig auf der Himmelsbahn;
Gewiß, das Weltall zu besiegen,
Blickt er umher, hinab, hinan.

Er sieht die schönste Göttin weinen,
Die Wolkentochter, Himmelskind;
Ihr scheint er nur allein zu scheinen;
Für alle heitren Räume blind…

Euphrosyne

Segnend kränze das Haupt mir mit dem heiligen Mohn!
Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber
Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold?
Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und Klüfte.
Denn kein irdischer Glanz ist es, der wandelnde, dort.
Näher wälzt sich die Wolke, sie glüht. Ich staune dem Wunder!

In Howards Ehrengedächtnis heißt es:
Wenn Gottheit Camarupa, hoch und hehr,
Durch Lüfte schwankend wandelt leicht und schwer,
Des Schleiers Falten sammelt, sie zerstreut,
Am Wechsel der Gestalten sich erfreut,
Jetzt starr sich hält, dann schwindet wie ein Traum,
Da staunen wir und traun dem Auge kaum;

Nun regt sich kühn des eignen Bildens Kraft,
Die Unbestimmtes zu Bestimmtem schafft;
Da droht ein Leu, dort wogt ein Elefant,
Kameles Hals, zum Drachen umgewandt,
Ein Heer zieht an, doch triumphiert es nicht,
Da es die Macht am steilen Felsen bricht;
Der treuste Wolkenbote selbst zerstiebt,
Eh er die Fern erreicht, wohin man liebt.

Ein poetisch schönes Bild gewährt uns auch

Mahomets Gesang
Seht den Felsenquell,
Freudehell,
Wie ein Sternenblick;
Über Wolken
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch.

Jünglingsfrisch
Tanzt er aus der Wolke
Auf die Marmorfelsen nieder,
Jauchzet wieder
Nach dem Himmel.

Beschrieben wird im Bild des Wassers der Lauf des Lebens. Es beginnt an der Quelle, jünglingsfrisch strebt es weiter, um schließlich nach dem Himmel, dem Göttlichen, zurückzukehren. Das Leben ist ein Tanz, alles ist in Bewegung, nur eines gibt es nicht: Stillstand.
Wolken gelten auch als Sinnbild der Liebe. Sie ist ein himmlisches Wunder, lässt uns auf den Wolken schweben. Im Mailied heißt es:
Oh Lieb, oh Liebe
So golden schön
Wie Morgenwolken
auf jenen Höhn!

Und im Gedicht An Lida:
Den einzigen, Lida, welchen du lieben kannst,
Forderst du ganz für dich und mit Recht.
Auch ist er einzig dein.
Denn, seit ich von dir bin,
Scheint mir des schnellsten Lebens
Lärmende Bewegung
Nur ein leichter Flor, durch den ich deine Gestalt
Immerfort wie in Wolken erblicke:
Sie leuchtet mir freundlich und treu,
Wie durch des Nordlichts bewegliche Strahlen
Ewige Sterne schimmern.

An Lili

Im holden Tal, auf schneebedeckten Höhen
War stets dein Bild mir nah:
Ich sahs um mich in lichten Wolken wehen,
Im Herzen war mir’s da.
Empfinde hier, wie mit allmächtgem Triebe
Ein Herz das andre zieht –
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht.

Wolken dienen ebenso als Sinnnbild der Inspiration. Wolken verbinden in himmelgreifender Bewegung Künstler und Muse, sie inspirieren zum Gedankenaustausch. Ohne Wolke bliebe die Inspiration auf halbem Wege stehen und würde den Künstler nicht erreichen. Diese Begegnung findet auf der Wolke statt.

Die Wolke ist auch Sinnbild der Poesie, Dichten ist eine Himmelsgabe.
Bilde, Künstler, rede nicht
Nur ein Hauch sei dein Gedicht!
Die Wolke im Himmel wird zur Lust, sie ist eine Wolke zur Poesie.

Die Wolke symbolisiert aber auch die Sorge, Unruhe und Verstimmung. Sie lässt zugleich die Einsicht wachsen, dass die Sorge nicht gebannt werden kann, weil sie zum menschlichen Dasein gehört. Verschwindet eine, ist die nächste Sorge schon im Anmarsch. Aber im Bild der Wolke kann sie sich schon versöhnlicher zeigen.
Iphigenie auf Tauris
Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,
So zieht mir vor der Seele leichte Sorge
Und Bangigkeit vorüber.

Somit stehen Wolken-Sinnbilder immer für Abstraktes, niemals für Gegenständliches ein. Alles wird ins poetische Bild gesetzt. Positiv agieren hierbei Liebe, Inspiration, Poesie, negativ sind die Werke der Sorge. Als Störenfried wird die Wolke freilich gelegentlich verjagt, dann rücken – im Spätwerk Goethes – Mond, Sonne und Sterne ins Zentrum, die weihevoll besungen werden.

… den leidenschaftlichen Zwiespalt zwischen Classikern und Romantikern endlich versöhnen

Vortrag von Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Frankfurt/Main, am 5. Oktober 2017

Der Bremer Gelehrte Carl Ludwig Iken sandte 1827 einen Geburtstagsbrief an Goethe mit der Bitte, ihm einiges aus dessen Werken zu erläutern. Goethe, indes, gab keine Erläuterungen, sondern gibt Iken Folgendes zu bedenken:
„Da sich gar manches unserer Erfahrungen nicht rund aussprechen und direct mittheilen läßt, so habe ich seit langem das Mittel gewählt, durch einander gegenüber gestellte und sich gleichsam in einander abspiegelnden Gebilden den geheimeren Sinn dem Anmerkenden zu offenbaren.“
Dies meint Goethe im Hinblick auf seine Farbenlehre. Hier ist der Begriff „entoptisch“ wesentlich. In der Augenheilkunde bedeutet er im Inneren des Auges gelegen. Goethe verwendet diesen Begriff nun als Metapher für eine zwischen Objekt und Subjekt liegende Sphäre, in der Innen- und Außenwelt nicht unterscheidbar sind und auf eine generelle Bedingtheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit verweisen.
„Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, lässt sich niemals von uns erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen. Dies gilt von allen Phänomenen der faßlichen Welt.“
So gibt es auch keinen Graben zwischen Natur und Kunst, dafür einen untrennbaren Zusammenhang.
Zumeist schreibt Iken, Goethe antwortet ganz kurz oder gar nicht. Er reagiert dennoch, indem er handelt oder durch Nachrichten, die er weiter reichen lässt. Ikens Brief ist auch weniger eine Würdigung des Jubilars, der Text gibt eher Ikens Gedanken zum „Helena“-Akt im Faust II wieder; den Akt, den Goethe noch selber publiziert hat.
Im Brief heißt es: „Nun aber Helena! Zwischenspiel zu Faust. Ein wahres Geschenk von Ihrer milden lieben Hand! Zum ersten Mal edle Gracität mit hoher Romantik verbunden, beide verschwistert gehen sie Hand in Hand.“
Goethe antwortet: „Ich zweifelte niemals, daß die Leser, für die ich eigentlich schrieb, den Hauptsinn dieser Darstellung sogleich fassen wird.“
Iken gehörte somit dazu. Der Weise erkennt den Sinn, die Masse des Publikums wohl nicht. Nun ist es an der Zeit, den leidenschaftlichen Zwiespalt zwischen Klassikern und Romantikern endlich zu versöhnen.
Damit kommt der Mailänder Literaturstreit ins Spiel, der somit beigelegt werden soll: der Streit zwischen den am griechischen Altertum orientierten „Classikern“ und den ans Mittelalter gebundenen „Romantikern“. Polemisierte Goethe noch 1816 gegen die romantisierenden „Nazarener“, so enthielt er sich später einer Parteinahme, zog sich ab 1827 auf die Position eines Beobachters zurück. Er erkennt: Aus alter Ordnung entsteht Pedanterie, die zerstört werden muss, bis man merkt, dass man wieder Ordnung schaffen muss. Festhalten am Alten ist verwerflich, wenn es dem Neuen im Wege steht. Es ist immer wieder derselbe Konflikt, und so steht es auch um den Gegensatz zwischen Klassik und Romantik. Es kommt auf den künftigen Ausgleich der Gegensätze an. Alles andere wäre einseitig. Die Klassiker müssten ansonsten hinnehmen, dass ihre Götter zu bloßen Phrasen, die Romantiker, dass ihre Werke zu charakterlosen Produkten verkommen. Beide würden sich gewissermaßen im Nichts begegnen. Also wiederum: Es kommt auf einen tätigen Ausgleich an.
Im „Faust“ ist dieser Konflikt angelegt. Der noch in der „romantischen Nebelwelt“ des Mittelalters befangene Faust, und dies ist bereits im Volksbuch angelegt, muss mit Helena zusammentreffen, die von Goethe nunmehr ganz in die Nähe der klassischen griechischen Tragödie gerückt wird.
Im weiteren Vortrag informierte die Referentin über den Stand des künftigen Romantik-Museums in Frankfurt/Main. Dabei spielt das Freie Deutsche Hochstift eine wichtige Rolle. Das „Freie Deutsche Hochstift für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung“ wurde 1859, am 100. Geburtstag Friedrich Schillers, von etwa fünfzig zumeist Frankfurter Bürgern gegründet. Die politischen Ideale der gescheiterten Revolution von 1848 sollten hier eine ins Geistig-Kulturelle gewendete Heimstatt finden. Initiator war der siebenunddreißigjährige Privatdozent der Geologie Dr. Otto Volger aus Lüneburg, der selbst einst ein aktiver 1848-er gewesen war. Es ist eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands und eine gemeinnützige Forschungsinstitution. Sie wird zu gleichen Teilen gefördert von der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt am Main.
Zu ihm gehört als ideeller und anschaulicher Mittelpunkt Goethes Elternhaus am Großen Hirschgraben in Frankfurt am Main.
Anfang des 20. Jahrhunderts begann man, Nachlässe von Romantikern (Clemens Brentano) zu sammeln, da Goethes Nachlass sich in Weimar befand. Die Sammlung wuchs. So keimte die Idee für ein Romantik-Museum, wobei der damalige Leiter des Goethehauses, Ernst Beutler, federführend war. Durch die Ankäufe ist das Goethehaus zu einem Zentralarchiv der Brentano-Romantik-Forschung geworden. Wie das Brentano-Stammhaus wurde auch das Goethehaus im Zweiten Weltkrieg zerstört. Dennoch gab Beutler die Idee eines Romantik-Museums nicht auf, zumal nunmehr viele Manuskripte von Romantikern vorlagen: beispielsweise von den Arnims, Brentano, Chamisso, Eichendorff, Fouque, der Günderrode, den Schlegels, und vor allem von Novalis.
Es ergab sich die einzigartige Chance, als neben dem Goethehaus ein Grundstück frei wurde, da der Börsenverein umgezogen war. Häuser und Grundstücke gehörten der Stadt. Sie fragte bei der Leitung des Goethehauses nach, da nachbarschaftliche Rechte bestanden. So wurde die Idee des Romantik-Museums wieder aufgegriffen. Dabei sieht der nunmehrige ausgewählte, entlang des Hirschgrabens kleinteilig entwickelte Projektentwurf vor, dass das Goethehaus auch Räume für Wechselausstellungen und die museumspädagogische Arbeit erhält. Zugleich bleibt der kleine Garten im hinteren Bereich erhalten.
Weitere Museen in Deutschland, die sich dem romantischen Erbe verpflichtet fühlen, bedienen nur Teilaspekte dieser Epoche. Romantik in Gänze darzustellen, diese Absicht wird man in Frankfurt verfolgen. Das Museum soll im Frühjahr 2020 fertiggestellt sein.

Chorkonzert in Kemenate und Floßfahrt auf der Saale

Herbstausflug am 9. September 2017

Laut Jahresprogramm stand am Sonnabend, dem 9.September 2017, unser  Ausflug an die Saale an. Vereinsmitglieder aus Erfurt und Gera, auch Chormitglieder von „Carmina“ aus Bad Köstritz und Gäste vom Kulmbacher Literaturverein, meldeten ihre Teilnahme und freuten sich auf einen ereignisreichen Tag – das wurde er auch. Wir, Erfurter, kamen per Zug pünktlich in Jena-Göschwitz an, wurden von Herrn Kemter empfangen und stiegen in den Bus, in dem schon die Geraer und Kulmbacher Goethefreunde auf uns warteten. Der Busfahrer startete und fuhr in Richtung Hummelshain. Als wir die erste Hälfte der Strecke erreicht hatten, hielt der Bus an einem Feldweg an, und diejenigen, die gut zu Fuß waren, wanderten zur Jagdanlage Rieseneck – einer sehenswerten, einzigartigen feudalen Jagdanlage, wie uns die starken Wanderer nach ihrer Rückkehr berichteten. Wir, die andere Hälfte, fuhren weiter zum „Residenzdorf Hummelshain“. Während unserer einstündigen Führung erfuhren wir, das hier 1494 ein kurfürstliches Jagdhaus errichtet wurde. 1668/70 wurde an gleicher Stelle ein schlichter Barockbau – ein Jagdschloss – errichtet. Mit der Neugründung des Herzogtums Sachsen-Altenburg wurde das Jagdschloss hier in Hummelshain zum Mittelpunkt der Jagd-und Sommerresidenz der Herzogsfamilie. Zwischen 1880 – 85 baute Herzog Ernst I. das märchenhaft anmutende Neue Schloss; es ist ein „Baudenkmal von nationaler Bedeutung, weil es baumäßig einzigartig ist“, wie uns der Ortsbegleiter erzählte und wir es erlebten.

Als die Führung beendet war, fuhren per Bus zurück, um unsere wanderfreudigen Freunde wieder aufzunehmen. Dann ging es weiter zur beeindruckenden „Alten Kemenate von 1074 “ in Orlamünde. Auch hier war alles bestens organisiert – ab 11.30 Uhr erlebten wir musikalische Darbietungen durch den Chor „Carmina“, einen Besuch von Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt – wir erkannten dennnoch unseren Vorsitzenden Bernd Kemter – und die Geraer Goethefreundin Barbara Dölitzsch, die hier in Orlamünde geboren war. Sie erzählte uns von örtlichen, baulichen Anlagen und geschichtsträchtigen Besonderheiten, wie der Geschichte von der „Weißen Frau“, der Gräfin Kunigunde von Hohenzollern hier in Orlamünde. Unser aller Beifall zeigte: wir waren überrascht und begeistert von den Darbietungen. Sehr beeindruckt waren auch alle, die sich die Karlstadt-Luther-Ausstellung in der ersten Etage der Kemenate angesehen hatten – – einzigartig!

Für unser leibliches Wohl hatte sich Frau Kemter sehr engagiert – so gab’s für jeden von uns reichlich zu essen und zu trinken, wofür wir ihr alle herzlich danke sagten. Nach 14 Uhr fuhren wir wieder per Bus nach Unterhasel, wo eine Flößerfahrt auf uns wartete:  eine Hälfte von uns fuhr per Floß, die andere Hälfte per Pferdekutsche nach Weißen. Hier gab es beim Zwischenstopp Bratwurst und Getränke. Nach dem Gruppenwechsel die Weiterfahrt nach Uhlstädt. Dort hieß es wieder den Bus besteigen und Weiterfahrt gen Jena Göschwitz zur Heimreise.

Ein sehr ereignisreicher, abwechselungsreicher Ausflug ging zu Ende. Danke sagten alle Goethefreunde dafür Herrn und Frau Kemter!

Renate Dalgas