Ersatz-Vortrag (künftig auch Power point) von Bernd Kemter, Gera, am 14. Mai 2024 – geplanter Vortrag von Prof. Drux, Köln, musste krankheitsbedingt entfallen
,Zunächst: Goethes Werther-Motiv fand seinen Niederschlag auch in musikalischen Werken. So schuf Jules-Massenet seine Oper „Die Leiden des jungen Werther“. 1792 komoponierte Rodolphe Kreutzer eine komische Oper „Charlotte et Werther“. Georges Duvals „Werther ou Les egarements d’un coeur sensible“, eine Vaudeville, also ein revueartiger Liedyklus, wurde im Pariser Theatre des Varietes seit 1817 mehrere Jahre lang erfolgreich aufgeführt. Doch wollen wir uns heute ausschließlich mit der Adaption des Werther-Motivs bei einigen deutschen und ausländischen Dichtern beschäftigen.
,Zunächst ein kurzer Blick in die polnische Geschichte. Polen erlitt ein tragische Schicksal. Es wurde dreimal geteilt, 1772, 1793 und 1795 – zwischen Russland, Österreich und Preußen. Mit dem Wiener Kongress gab es gewissermaßen noch eine vierte Teilung. Dennoch blieb der Gedanke nationaler Einheit stets lebendig. So gab man sich am 3. Mai 1791 eine Verfassung, noch vor dem französischen Code Napoleon.
Immer wieder haben Polen versucht, ihren Staat wiederherzustellen. Immer wieder gab es Aufstände, so 1794/95, im November 1830, den bedeutendsten, dann 1848 und der letzte im Januar 1863, der blutig niedergeschlagen wurde. Nach diesen vergeblichen Versuchen verzichtete man auf militärische Auseinandersetzungen, beschränkte sich auf die Pflege der Sprache und Kultur, die katholische Kirche begleitete aktiv diesen nationalen Gedanken. Dann, nach dem Ersten Weltkrieg entstand der polnische Staat erneut. Damit wollen wir es bewenden lassen.
Immerhin interessierte sich auch Goethe für polnische Dichter, einige haben ihn sogar besucht. Doch dabei blieb es nicht. Er selbst bereiste – im Gefolge seines Herzogs während der schlesischen Kampagne – polnische und schlesische Gebiete. Es blieb 1790 bei seiner einzigen Reise. Später äußerte er, sein Alter verbiete ihm einen neuerlichen Aufbruch, wenn jedoch Polen ihn besuchen kämen, sei dies eine willkommene geistige Reise.
,Jetzt kommen wir zum Thema: Das Werther-Motiv im Spiegel einiger in- und ausländischer Dichter
Goethes „Werther“ inspirierte gleich mehrere Dichter, sich mit dem Schicksal des jungen unglücklich Verliebten in eigenen Werken auseinanderzusetzen. Der Vortrag weist diesen Umstand an Beispielen von Hölderlin, Lenz, Rilke, Stendhal, Mickiewicz und Lord Byron, italienischen und französischen Autoren nach.
Spuren des Werther-Motivs finden sich beispielsweise in Rainer Maria Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Der 18-jährige Adelige kämpft gegen die in Ungarn eingefallenen Türken. Vor der entscheidenden Schlacht übernachtet der Fahnenträger mit seiner Kompanie in einem Schloss. Dort verliebt er sich in die Gräfin, verbringt mit ihr eine Nacht im Turmzimmer. Währenddessen stecken die angreifenden Türken das Schloss in Brand. Der Cornet rettet die Fahne, wird jedoch inmitten der Feinde getötet. Die lyrisch-impressionistische Prosa beschreibt die Gefühle von Jugend und Lebenshunger, Liebe und Tod.Einige Motive sowie die Tagebuchform verweisen auch in Rilkes Briefroman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ auf den unglücklichen Werther.Es zeigt sich, dass die Bewältigung dieses anspruchsvollen Themas durchaus unterschiedliche, ja motivisch abweichende Versionen zeitigte. ,Setzen wir also mit Adam Mickiewicz fort, dies auch deshalb, weil der berühmte polnische Dichter fast selbst ein Werther-Schicksal erlebt hätteIm Versroman „Dziady“ Vorväter, Urahnen), übersetzt zumeist als „Totenfeier“. Die Fabel handelt von Gustaw, der angewidert von der Leere und Eitelkeit seine Jagdgesellschaft verlässt, sich in die Wildnis begibt, um eine ersehnte Geliebte zu besingen. Weil er sie nicht mehr findet, gibt er sich enttäuscht den Tod.
Darin heißt es in einfacher prosaischer Übersetzung:
Und sie ist so zärtlich, so schön berührend.
Wie Frühlingsflaum im Gras, das von den Zephyrwinden
weggeweht und von frühem Tau überglänzet wird.
Jeder meiner Gefühle wird sie augenblicklich rühren.
Jedes scharfe Wort würde sie verletzen. (Dies sei ferne von mir.)
Doch ihre Freude verdämmert im Schatten meiner Traurigkeit:
So erkannten wir die Gefühle des anderen in unserer gemeinsamen Seele.
Was der eine dachte, erriet der andere.
Alles Sein ist eng miteinander verbunden,
Wir schauten unsere Gesichter im Spiegel an
Wir sahen unser Herz, als stünde es an einem steilen Hang.
Was für ein Gefühl blitzte vor meinen Augen auf
augenblicks wie ein Lichtstrahl
es dringt in ihrem Herzen ein
und das Leuchten kehrt in mein Auge zurück
Oh ja! Ja, ich habe sie geliebt!
Wirst du nun aus Angst die Maske der Verdammten
auf das Antlitz deiner Geliebten setzen?
Ich erlaube mir, Sie in diesem Zusammenhang auf meine Erzählung „Kalliopes Sturmvögel“ aufmerksam zu machen, in der besagte Werther-Bezüge eine wichtige Rolle spielen, jedoch ebenso Goethes Streifzug 1790 durch Schlesien und Polen sowie zeitgeschichtliche politische und militärische Ereignisse; Themen, von denen bereits die Rede war. Dies nur nebenbei..
Mickiewicz erzählt auf meisterhafte Weise Leid und Qual der unglücklichen Liebe seines Haupthelden, die verzweifelten Kämpfe eines gebrochenen Herzens, die wie im „Werther“ im Selbstmord enden. Gustaw erscheint nun als ein zu ewigen Qualen verurteiltes Gespenst. Hier beginnt nun die Totenfeier mit der Geisterbeschwörung. Der Werther-Handlungsstrang wird jetzt verlassen, dafür tauchen verwandtschaftliche Beziehungen zu Goethes „Faust“ und „Hermann und Dorothea“ auf. Was nun das Werther-Motiv betrifft, so hatte Mickiewicz ganz offensichtlich sein eigenes Schicksal vor Augen. Er selbst sieht sich als Werther, seine geliebte Maryla als Lotte. Deren Verlobter Wawrzyniec Puttkamer weist auf Albert hin, einen Menschen, den der Liebhaber Marylas duchaus achten muss. Maryla schwört indes auf die ,poetische Seelengemeinschaft‘ mit Mickiewicz, für die Ehe scheint ihr Puttkamer besser geeignet.
Er trägt sich zunächst wie Werther mit Selbstmordgedanken, doch dann entscheidet er anders. Ein Duell soll entscheiden. Mit Józef Łoziński, einem Freund, begibt er sich zu Puttkamer, um ihn auf Pistolen zu fordern. Sie treffen das Paar während eines Spaziergangs. Maryla spricht freundlich mit dem Verliebten, fasst ihn bei der Hand, wandelt mit ihm durch den Park. Mickiewicz scheint das Duell völlig vergessen zu haben. Er und sein Begleiter werden als Gäste sogar ins Herrenhaus eingeladen. Doch in der Nacht weckt Mickiewicz seinen Freund, sie schleichen aus dem Haus und kehren nach Vilnius zurück. Der Dichter hat sich sehr ob seiner ursprünglichen Absicht geschämt und Łoziński gebeten, über die peinliche Angelegenheit kein Wort verlauten zu lassen. Doch sein Freund hat sich an sein Versprechen nicht gehalten. Anderenfalls hätten wir ja von der misslichen Affäre nichts erfahren. Unglückliche Verliebte, sie sind tragische und komische Figuren zugleich im turbulenten Spiel der Welt.
Zu jener Zeit, als Mickiewicz seine ,Totenfeier‘, die ,Dziady‘, schrieb, hat Mickiewicz überaus gründlich Rousseaus Briefroman ,Die neue Heloise‘, Lord Byrons Gedicht ,Manfred‘ und natürlich vor allem Goethes ,Werther‘ gelesen und sich von allem inspirieren lassen. Übrigens: Ein anderer Dichter, nämlich Kazimierz Brodzinski hat den „Werther“ ins Polnische übersetzt.
Anrührend ist das Drama Lord Byrons „Manfred“.
„Manfred“ (1817 entstanden) ist ein dramatisches Gedicht, in dem der Titelheld sich die Schuld am Tod seiner Geliebten Astarte gibt und als einzigen Ausweg aus diesem Unglück seinen eigenen Tod betrachtet. Mit überirdischen Fähigkeiten gesegnet, ruft er magische Wesen zu Hilfe, die ihm das Sterben ermöglichen sollen.. Diese weigern sich jedoch, ihn von seiner Bürde zu befreien und stellen ihn vor scheinbar unüberwindbare Hürden, die er für die Erfüllung seines Wunsches bezwingen muss. Manfred verzweifelt – wie Goethes „Faust“ – an seiner ungenügenden Welterkenntnis, er verschreibt sich finsteren Mächten, treibt okkulte Experimente in dunklen Nächten. Und er hat eine Geliebte, Astarte, wie Faust sein Gretchen. Er verfällt den teuflischen Mächten, wird aber von der Hölle erlöst.
Byron verfasste das metaphysische Drama nur kurze Zeit, nachdem die inzestuöse Liebesbeziehung zu seiner Halbschwester Augusta bekannt geworden war, in deren Folge seine Ehe zerbrach und er vor den Schmähungen der Londoner Gesellschaft in die Schweiz fliehen musste. Da die Hauptfigur ebenfalls eine verbotene Beziehung pflegt und an ihren Schuldgefühlen zu zerbrechen droht, sahen viele Kritiker in dem Stück ein persönliches Bekenntnis Byrons.
Kommen wir nun zum Friedrich Hölderlin und seinen Briefroman „Hyperion“
„Hyperion oder Der Eremit in Griechenland“ ist der Roman eines jungen Griechen des 18. Jahrhunderts, der eine Wiedergeburt der großen Vergangenheit seines Volkes ersehnt und mit seinen Versuchen, die Würde und Schönheit der antiken Gesellschaft zu erneuern, scheitert. Der Aufstand der Griechen gegen das türkische Joch vom Jahre 1770 bildet den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Geschehens. Hyperion bekennt seinem deutschen Freund Bellarmin in Briefen sein Schicksal.
In der Liebe zu Diotima auf der Insel Kalaurea gesundet Hyperion und findet zu sich selbst. Diotima fordert ihn auf, sich seiner vaterländischen Pflichten bewusst zu sein: „Du wirst Erzieher unsers Volks!“ Der Aufstand gegen die Türken trennt die Liebenden. Voll Zuversicht zieht Hyperion mit seinem Lehrer Alabanda in den Kampf für einen Freistaat der Schönheit und Harmonie und muss erleben, dass seine Kampfgefährten nach dem Sturm auf Misistra, das alte Sparta, plündern und morden. Hyperion sucht den Tod; Diotima stirbt; die Ideale erweisen sich als trügerisch.
Die Prosa des „Hyperion“ hat die Sprachgewalt der gebundenen Rede, die Ausdruckskraft hymnischer freier Rhythmen. Von unvergänglicher Schönheit sind die Schilderungen der griechischen Landschaft und die Liebesbriefe Hyperions und Diotimas. „Wie der Zwist der Liebenden sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder.“
Jakob Michael Reinhold Lenz folgte dem Werther-Motiv mit seinem Briefroman „Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden“. Dieser Verweis gilt jedoch nur bedingt, wenn man die gesamte Handlung überblickt. Herz, der Waldbruder, lebt in seiner Phantasiewelt. Er sucht nach einer Geliebten wie Goethes Werther, hat jedoch nur wenig Glück bei den Frauen. Als er an ein Mädchen gerät, das er leidenschaftlich liebt, ertappt er sie mit einem Rivalen. Er zieht sich nun aus einem weiteren Grund in Waldeinsamkeit zurück, nachdem er nämlich von einer vermögenden, aber hässlichen Hauswirtin mit Intrigen umsponnen wird. Immerhin: Das Fragment wurde von Goethe huldvoll aufgenommen, er ließ es 1797 – fünf Jahre nach dem Tode des Dichters – in der Zeitschrift „Die Horen“ drucken.
Kommen wir nun zu Stendhals Roman „Rot und Schwarz“.
Zum Inhalt des zweiten Buches: Julian, Sohn aus ärmlichen Verhältnissen, als Hauslehrer immerhin empor gestiegen, lernt schnell, die ihm übertragenen Aufgaben gut zu erfüllen, und gewinnt Vertrauen und Anerkennung seines Dienstherren. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringt die adelige Gesellschaft um Marquis de la Mole, Pair von Frankreich, in den Salons von Paris, zu denen auch Julian aufgrund seiner Tätigkeiten für den Marquis Zugang hat. Dort wird die glänzende Erscheinung Mathildes, der jungen Tochter des Marquis, von einigen Adeligen umschwärmt. Mathilde jedoch ist von diesen Verehrern gelangweilt. Julian interessiert sich zunächst nicht für Mathilde. Er bleibt ihr fern, aus Angst, sein Stolz könnte von ihr verletzt werden. Gerade dieses Desinteresse ist es, das Mathildes Eitelkeit reizt. Sie stellt sich vor, Julian könnte ein neuer Danton sein, ein revolutionäres Genie im Gegensatz zu den einförmigen und aus ihrer Sicht nicht mehr von dem Heldenmut ihrer Vorfahren beseelten adeligen Verehrern. Sie verliebt sich in ihn und schreibt ihm einen Liebesbrief. Julian glaubt aber zunächst an eine Falle der Adeligen, die dazu dienen solle, ihn zu kompromittieren. Sein Begehren, das sich zu einer leidenschaftlichen Liebe steigert, muss er Mathilde gegenüber allerdings immer wieder maskieren, um sich als Dandy ihr Interesse zu sichern.
Mathilde stürzt sich immer tiefer in die Liebe zu dem nicht adeligen, mittellosen Julian, obwohl dies völlig gegen die gesellschaftlichen Konventionen verstößt, die sie selbst so hoch achtet. Als sie schwanger wird, entschließt sie sich, ihrem Vater die Beziehung zu gestehen. Dieser ist entsetzt über den Verrat des von ihm geschätzten Julian. Trotzdem will er nach einigem Ringen Julian eine falsche Identität als adeliger Offizier geben und in die Hochzeit einwilligen, um den Ruf seines Hauses nicht zu gefährden.
Als der Marquis de la Mole jedoch Erkundigungen über Julians Vorleben einholt, erhält er einen Brief von Madame de Rênal, in dem sie Julian als Herzensbrecher schildert, der es auf das Geld reicher Frauen abgesehen habe. Madame de Rênal hat sich wegen ihres Ehebruchs mit Julian zwischenzeitlich tief in Reuegefühle verstrickt und hat den Brief von ihrem Beichtvater diktiert bekommen – einem Jesuiten, der aus Karrieregründen dem Marquis de la Mole gefallen möchte. Als Julian von diesem Brief erfährt, der kurz vor dessen Verwirklichung seines alten Traums von einer Karriere als Offizier und seinem gesellschaftlichen Aufstieg zerstört hat, reist er nach Verrières und schießt dort auf Madame de Rênal.
Madame de Rênal erholt sich von ihrer Verletzung und söhnt sich mit Julian im Gefängnis aus. Er erkennt dort, dass sie die einzige ist, die je wirkliche Liebe für ihn empfunden hat. Mathilde, die auf Madame de Rênal sehr eifersüchtig ist, wird nun von Julian verachtet. Beide ihn inbrünstig liebende Damen lassen derweilen nichts unversucht, sein Leben doch noch zu retten. Julian will jedoch lieber sterben, als mit der Schmach dessen, was er getan hat, leben zu müssen, und verletzt die Geschworenen durch eine ehrliche Rede so in ihrer Ehre, dass sie ihn zum Tod verurteilen. Mathilde kann hernach das abgeschlagene Haupt ihres Geliebten mit einem großen Aufwand in den Bergen um Verrières feierlich bestatten. Madame de Rênal hatte zwar gelobt, sich um Julians noch ungeborenes Kind zu kümmern. Aber sie stirbt drei Tage nach Julian in den Armen ihrer Kinder.
Ein Italiener hat sich ebenfallsmit dem Werther-Motiv beschäftigt, worauf dankenswerterweise Anne Bohnenkamp-Renken vom Goethehaus Frankfurt auf meine Nachfrage hinwies. Sie nannte – neben dem soeben besprochenen Stendhal – auch weitere französische Autoren.
Zunächst soll uns der Briefroman „Ultime lettere di Jacopo Ortis“ von Ugo Foscolo ein wenig beschäftigen. Der fiktionale Herausgeber Lorenzo Alderani erklärt in einer Vorrede an den Leser, er präsentiere im Folgenden die Briefe seines Freundes Jacopo Ortis, um der unbekannten Tugend ein Denkmal zu errichten. Der Leser weiß so von Anfang an, dass Ortis inzwischen verstorben ist. Die nun folgenden Briefe erstrecken sich vom 11. Oktober 1797 bis zur Nacht vom 25. auf den 26. März 1799. Es sind ausschließlich diejenigen von Ortis, Alderani fügt lediglich, vor allem zum Ende hin, einige für das Verständnis notwendige Erläuterungen ein.
Jacopo Ortis ist ein junger Venezianer, der geglaubt hatte, dass Napoleon das zersplitterte Italien einigen würde, was sich nach dem Frieden von Campo Formio als Illusion erweist (hier gibt es übrigens Parallelen zu Stendhals Roman „Die Kartause von Parma“, ein junger Idealist schließt sich Napoleons Treuppen an). Schon wenige Tage zuvor geht der junge Patriot, dem Verfolgung droht, ins Exil in die Euganeischen Hügel. Dort beginnt er gleich, seine Briefe zu schreiben. Im Exil lernt er Teresa kennen, die Tochter eines venezianischen Aristokraten, und verliebt sich in sie. Auch wenn sie seine Gefühle erwidert, muss sie ihr Versprechen einlösen, den vermögenden Odoardo zu heiraten. Es bleibt bei einem einzigen Kuss. Nach einer ergebnislosen Aussprache mit ihrem Vater reist Ortis durch Norditalien und besucht Stätten, die wichtig sind für den Ruhm der italienischen Nation, wie Florenz, wo er ehrfürchtig vor den Gräbern von Galileo, Machiavelli und Michelangelo steht, oder wie Ravenna, wo er die Urne des „Vaters Dante“ umarmt. Er leidet gleichermaßen an der nationalen Schmach und am Liebesverzicht. Der Gedanke an Selbstmord begleitet ihn von Anfang an; nur die Idee, dass ein Aufbegehren der Italiener gegen die Fremdherrschaft noch möglich ist, wenn sie sich auf die vergangene künstlerische Größe besinnen, und die Hoffnung auf eine Verbindung mit Teresa halten ihn zurück. Als er erfährt, dass sie geheiratet hat, erdolcht er sich.
Foscolos Ultime lettere gilt gemeinhin als erster Roman der italienischen Literatur. Heroischer Gestus (auch wenn er tatenlos bleibt) und edle Melancholie ließen den Roman bei den Zeitgenossen zu einem großen Erfolg werden. Die Parallelen zu Goethes Die Leiden des jungen Werther – der Aufbau des Briefromans, die unglückliche Liebe zur Braut eines anderen, der Selbstmord – wurden schnell erkannt, auch wenn Foscolo betonte, ihm gehe es, anders als Goethe, um die politische Situation seines Landes und nicht um romantischen Weltschmerz. Giuseppe Mazzini, einer der Protagonisten des Risorgimento, der italienischen Befreiungsbewegung des 19. Jahrhunderts, lernte den Roman in seiner Jugend auswendig.
Zu nennen wäre jetzt Joseph Antoine Gourbillons Briefroman „Stellino ou le nouveau Werther“, das als e-book in französischer Sprache vorliegt. Eine Neu-Herausgabe würde sich unbedingt lohnen, ist allerdings sehr aufwendig. Ich habe zumindest die ersten Seiten gelesen und finde es trotz der düsteren Handlung recht amüsant. Zu erwähnen wäre noch Charles Nodier, geboren in Besancon, der sich vor allem mit Schauergeschichten und einem der ersten Romane zum Suizid einen Namen machte. Nebenbei: Wegen eines satirischen Gedichts auf Napoleon saß er auch mal für kurze Zeit im Gefängnis, konnte jedoch untertauchen, nachdem er sich sogar an einer Verschwörung gegen den Diktator beteiligt hatte. Eine sehr interessante Gestalt, meine ich.
Den Reigen setzt eine weibliche Version fort, denn zu den frühesten französischen Werther-Adaptionen gehört Pierre Perrins „Wertherie“
Die Heldin trägt kurzerhand diesen Namen. Der verheiratete Mann, den die junge Schwärmerin abgöttisch liebt, heißt – merkwürdig genug – Herzberg. Die Heldin vergiftet sich mit Opium.
Von französischen Autoren wären noch drei mit ihren Werken aufzuführen. Francois de Chateaubriands „Rene“. Als René bei den Natsches ankam, war er genötigt worden, ein Weib zu nehmen, um sich dem indianischen Brauch und Herkommen zu fügen; er lebte jedoch nicht mit ihr. Sein Hang zur Schwermut zog ihn in die Wälder: dort brachte er Tage und Wochen einsam zu, und glich einem Wilden unter den Wilden. Außer Schakta, seinem Adoptivvater, und dem Pater Souël, dem Missionsprediger des Forts Rosalie, pflog er fast gar keinen Verkehr mit den Menschen. Diese beiden Greise hatten großen Einfluß auf sein Herz gewonnen; der Erstere durch eine liebevolle Nachsicht, der Andere hingegen durch eine außerordentliche Strenge gegen ihn. Ein gegensätzliches Motiv zu seiner faden Ehe durchzieht das Buch: nämlich zärtliche Liebe und Hingabe zu seiner Schwester Amelie; eine Geistesfreundschaft aus ihrer Jugendzeit. Zu den Wertheriaden wäre ebenso Benjamin Constants „Adolphe. Anecdote trouvee dans les papiers d’un inconnu, et publiee“ zu zählen. Ein junger Adliger mit besten Aussichten erobert aus einer Laune heraus die Geliebte eines anderen, Elléonore, wie eine Trophäe. Doch statt einer flüchtigen Liebschaft entwickelt sich eine Bindung, die den Protagonisten zu erdrücken droht.
Nun kommen wir zu einer anderen Szenerie. „Oberman. Lettres publiees par M. Senancour“ Oberman. Roman in Briefen ist ein Briefroman des französischen Schriftstellers Étienne Pivert de Senancour, (1770–1846), der 1801 in Paris begonnen, 1803 in der Schweiz vollendet und 1804 in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Er gilt als eines der wichtigsten Werke der französischen Frühromantik.
In dem Roman gibt es keine klare Handlung: Der Protagonist schreibt an einen (möglicherweise imaginären) Empfänger, der genauso im Dunkeln bleibt wie andere Figuren. Während Oberman in die Schweiz reist, gibt er sich philosophischen Betrachtungen hin, die er in seinen Briefen niederlegt. Oberman wird von einer „tristesse d’une vague profonde“, einer unerklärlichen Melancholie heimgesucht, die ihn von einem Ort zum anderen treibt, verzweifeln lässt und zur Untätigkeit verdammt. Typisch romantisch im Oberman sind die schwärmerischen Naturbeschreibungen.
Vielen Künstlern diente Oberman als Inspirationsquelle, u. a. Liszt oder Delacroix. Liszt nannte Oberman „das Buch, das stets mein Leid betäubt“. Vallée d’Obermann ist der Titel eines Klavierstückes in seinen Années de pèlerinage.
Bekannt dürfte sein, dass kein Geringerer als Napoleon den Werther als Hauptwerk Goethes ansah und den Verfasser hierzu beglückwünschte.
Es gibt Werke deutscher Autoren, die man dem Werther-Motiv zuordnen kann. Ein amüsant-satirisches Gegenstück lieferte Friedrich Nicolai mit seiner bereits 1775 erschienenen Erzählung „Die Freuden des jungen Werthers“. Er eröffnete damit die Reihe der sogenannten Wertheriaden. Der Hauptheld Hannes will dem Beispiel des Werther folgen, doch ihm wird von einem älteren Freund abgeraten. Nun werden Goethes Personen eingeführt. Werther liegt auf dem „Sterbebett“, als ihm Albert eröffnet, dass jener gar nicht sterben muss, er habe die Pistole mit Hühnerblut geladen. Lotte bekommt von Werther ein Kind. Sie führen einen gemeinsamen Haushalt, leben schließlich in einem großen Haus. Er lebt glücklich mit seiner Lotte. Was hat Werther gelernt? Zitat: „Erfahrung und kalte gelassne Überlegung hat ihn gelehrt, ferner nicht das bisschen Übel, das das Schicksal ihm vorlegte, zu wiederkäuen, dagegen aber die Wonne, die Gott über ihn ausgoss, mit ganzem, innig dnkbarem Herzen aufzunehmen.
Manche Aufklärer lobten die beißend kritische Darstellung Nicolais, manchen Stürmern und Drängern war sie verhasst. Äußerst entrüstet reagiert Goethe selbst, er eröffnete einen heftigen literarischen Feldzug gegen Nicolai.
Wie auch immer: Weltschmerz, Melancholie, das Motiv der „Krankheit zum Tode“ (Kierkegaard) kamen nicht nur im „Jahrhundert der Empfindsamkeit“, sondern bis in heutige Zeit in mannigfaltigen Versionen und Genres auf den Markt.
Es gibt ein kleines Buch, ebenfalls mit ganz direktem Bezug zu Goethe, zumindest, was den Titel betrifft: Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ Der Inhalt ist kurz erzählt.In einer Ostberliner Gartenlaube liest der junge Edgar W. mit wachsender Begeisterung den „Werther“ – und verliebt sich prompt in eine Frau, die eigentlich schon vergeben ist. Die Uraufführung des Bühnenstücks 1972 in Halle war ein voller Erfolg, Plenzdorfs Stück, das die Situation von DDR-Jugendlichen in den 70-er Jahren beschreibt, wurde seitdem auf vielen Bühnen der DDR, in der Bundesrepubik und in mehreren anderen Ländern aufgeführt.
Von der Defa abgelehnt, wurde das Buch 1976 wurde das Stück in Westdeutschland verfilmt. Die Geschichte erzählt von einem Jugendlichen, der aus seiner kleinbürgerlichen Umwelt ausbrechen will und beim Lesen von Goethes Werk Die Leiden des jungen Werthers immer wieder Ähnlichkeiten mit seinem eigenen Leben entdeckt.
Ein Unterschied der Theateraufführungen in der DDR und in der BRD besteht darin, dass die Urfassung einen Selbstmordversuch enthält, in späteren Fassungen aber von einem Unfalltod die Rede ist. Auch in der Buchfassung wurde der Schluss verändert, einiges wurde erweitert, anderes wiederum getilgt.
Edgar Wibeau wurde von seinem Vater verlassen, als er fünf Jahre alt war. Nach dem Tod Edgars mit 17 Jahren befragt sein Vater Personen, die seinem Sohn nahestanden, um ihn im Nachhinein kennenzulernen.
Edgar wächst in DDR-Zeiten bei seiner Mutter als Musterschüler und Vorzeigeknabe auf – vielleicht nicht ganz freiwillig, denn er macht seine Ausbildung an einer Berufsschule, die von seiner Mutter geleitet wird. Nach einem Streit mit seinem Lehrmeister Flemming tut er, was er schon lange tun wollte – er verschwindet mit seinem Freund Willi aus seinem Heimatort, der fiktiven Kleinstadt Mittenberg, und geht nach Berlin. Willi zieht es jedoch bald wieder nach Mittenberg zurück. Edgar bleibt allein in Berlin, wo er in einer verlassenen Gartenlaube neben einem Kindergarten in Berlin-Lichtenberg unterkommt. In diesem Kindergarten arbeitet die 20-jährige Charlie, in die er sich bald verliebt. Dieter, ihr Verlobter und späterer Ehemann, und Charlie selbst geben Edgar viel zu denken. Der einzige, mit dem Edgar Kontakt hält, ist sein Jugendfreund Willi. Diesem schickt er regelmäßig Tonbänder mit Zitaten aus Goethes Werther, die seine eigene Lage gut beschreiben, Nachdem der junge Rebell an einer Kunsthochschule nicht aufgenommen worden war, sich selbst als verkanntes Genie aber nie ganz abschreibt, nimmt er eine Arbeit als Anstreicher auf. Um Addi und Zaremba, seinen Arbeitskollegen, etwas zu beweisen, versucht er, ein „nebelloses Farbspritzgerät“ zu entwickeln, an dem Addi selbst gerade erst gescheitert ist. Beim ersten Versuch, die selbstgebaute Maschine in Betrieb zu nehmen, wird Edgar durch einen Stromschlag getötet.