Vortrag von Dr. Thomas Frantzke, Leipzig, am 4. März 2025
Am 11. Dezember 1774 treffen sich Karl Ludwig Knebel (1744 – 1834, Lyriker, Übersetzer, sowie „Urfreund“ von Johann Wolfgang Goethe) und Goethe in Frankfurt/M. Erbprinz Carl August und Prinz Constantin befinden sich da gerade auf Reise nach Frankreich. Auch sie finden sich bei Goethe ein. Carl August ist insbesondere von „Götz von Berlichingen“ fasziniert. Sie unterhalten sich jedoch nicht über Literatur, sondern über Justus Mösers Reformschrift „Patriotische Phantasien“. Darin geht es auch um Fürstenerziehung, ganz im Sinne der europäischen Aufklärung.
Allerdings steht Goethe zu dieser Zeit in spöttelnder Gegenerschaft zu Wieland, der ja Prinzenerzieher am Weimarer Hofe war. Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) war Dichter, Übersetzer und Herausgeber, einer der bedeutendsten Schriftsteller der Aufklärung im deutschen Sprachgebiet und der Älteste des klassischen Viergestirns von Weimar, zu dem neben ihm Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller gezählt werden.
Wieland schrieb, angeregt durch Glucks „Alceste“ (1767), 1773 zusammen mit dem Kapellmeister Anton Schweitzer das Singspiel „Alceste“ in deutscher Sprache. Dem Stürmer und Dränger Goethe missfiel dieses sachte, glatte Rokoko-Spiel, er verfasste in jugendlichem Ungestüm die gewagte Farce „Götter, Helden und Wieland“. Selbiger reagierte weltmännisch, indem er den Druck im „Teutschen Merkur“ anzeigte und Goethes Farce in der Juni-Ausgabe 1774 seiner Zeitschrift als Meisterstück von Persiflage lobte.
Goethe, dem der Wind aus den Segeln genommen war, erhielt durch seine Freunde Karl Ludwig von Knebel und Friedrich Heinrich Jacobi sowie durch Wielands Jugendfreundin Sophie von La Roche Hilfe beim Friedensschluss und schrieb im Dezember 1774 einen Versöhnungsbrief an Wieland. Goethes Wechsel nach Weimar brachte die Annäherung, die in Goethes Spruch vom Juli 1776 gipfelte: „Mit Wieland hab‘ ich göttlich reine Stunden. Das tröstet mich viel.“
Im Mai 1775, als Carl August seine Verlobte in Karlsruhe besuchte, zeigte sich Goethe entzückt von Luise. Und er urteilte: „[Der künftige] Herzog Carl August kam, und er ist mir gut.“ In dieser Situation signalisierte Goethe, sich alsbald mit Wieland zu versöhnen. Während der Hochzeit von Carl August mit Luise lädt der Souverän den Dichter nach Weimar ein. Goethes Vater bleibt skeptisch, er sieht den Sohn „im Fürstendienst“. Am 7. November kommt Goethe in Weimar an. Er wohnt zunächst bei der Familie von Kalb (Sächsischer Hof), es sind die ersten vier Monate. Dann – 1776/77 – zieht er um auf den Burgplatz, schließlich ins Fürstenhaus (Ständehaus), der heutigen Musikhochschule für Musik, in dem Carl August nach dem großen Schlossbrand Quartier nehmen musste. Natürlich bewohnte er auch das Gartenhaus an er Ilm, allerdings nur in der warmen Jahreszeit.
Ende 1775 fehlte dem kleinen Herzogtum der Generalsuperintendent, der Landesbischof. Goethe regte Herder an, seinen ursprünglichen Plan auf Göttingen zu verzichten und nach Weimar zu kommen, „weil es hier einiges zu tun gibt“. Er will Herder, den Jugendfreund aus Straßburgs Tagen, bei sich haben. Allerdings gab es etwa 150 Pfarrer im Land, die sich ebenfalls Chancen auf die Stelle ausrechneten. Vergeblich.
Zwischen Goethe und dem Herzog entwickelte sich bereits in den ersten Wochen eine enge Freundschaft. Ein „wildes Genie-Treiben“ des 18-jährigen Souveräns und seines um acht Jahre älteren Freundes setzte ein, unbekümmert um die prekäre Lage des Herzogtums. Dagegen galt der Gothaer Hof auch in finanzieller Hinsicht als vorbildlich.
Goethe sinnt nicht nur auf literarischen Lorbeer und eigene Werke, er möchte auch eine wesentliche Rolle auf dem „Welttheater“ spielen. Gegenüber seinem Freund Johann Heinrich Merck (1741 – 1791), Darmstädter Herausgeber, Redakteur und Naturforscher, Rezensent, Essayist, Erzählungen, äußert er, seine Lage sei recht vorteilhaft. Seine Hauptkonditionen habe er durchsetzen können: Freiheit für seine Werke und sein „Genügen“ (finanzielles Auskommen).
Das wilde Treiben kommt im Reich und schon gar nicht im Herzogtum selbst nicht gut an. „Mir wird heimlich die Schuld gegeben, dass der Herzog nicht nach ihrer Pfeife [des Hofes] tanzt.“ Die Streiche der beiden schockieren den Hof und die Leute. Beispiele: Peitschenknallen auf dem Weimarer Marktplatz, Einmauern der Tür zur Ausflugswohnung der Göchhausen, Katze im Butterfass. Trinkgelage sind an der Tagesordnung, weil sich der Herzog „abhärten“ muss. Knebel kritisiert, und Charlotte von Stein meint, Goethe verderbe des Herzogs Charakter. Die Hofetikette scheint außer Kraft gesetzt.
Konflikte gibt es bei den Ernennungen. Man beklagt, dass die Beförderungen ausschließlich Leuten – wie dem jungen Sprössling von Kalb – zugute kommen, die nur der Unterhaltung dienen. Dieser Konflikt entzündet sich insbesondere bei der Wahl zum Geheimen Consilium, dem Geheimen Rat. Dieses Conseil war das höchste politische und gerichtliche Gremium im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach der Frühen Neuzeit. Es unterstand direkt dem Herzog und war die zentrale Behörde des Herzogtums, die allen sonstigen Behörden sowie auch der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek vorstand. In diesem Gremium wurden nicht nur alle wichtigen politischen Entscheidungen im Staat getroffen, sondern auch Beschlüsse gefasst, die zur Hinrichtung bei Kapitalverbrechen führten.
Das Conseil bestand zu jener Zeit aus drei Männern: dem Herzog selbst, Christian Friedrich Schnauß (1722–1797), Beamter und Politiker und Jakob Friedrich von Fritsch (1731–1814), sächsischer Staatsmann. Nun sollte noch Goethe hinzukommen. Dagegen gab es große Vorbehalte. Fritsch wollte sogar seine Demission einreichen, falls Goethe Aufnahme finden würde. Dem widersetzte sich der Herzog. Klopstock ermahnte Goethe, was selbiger sich verbat.
Doch Goethe wandelte sich. Er bemühte sich um ein gutes Verhältnis zu Fritsch, übernahm vielfältige Verwaltungsaufgaben wie den Ilmenauer Bergbau, die Jenaer Universität, Kriegs- und Wegewesen. Er will für das Gemeinwohl, für den Herzog Gutes bewirken, 1782 wird er geadelt.
Die Herzoginmutter Anna Amalia hilft, Fritsch wird ihr vertrautester Berater. Er habe einen falschen Eindruck, ihr Sohn sei von Ehrenmännern umgeben: „Suchen Sie ihn [Goethe] kennenzulernen.“ Fritsch bleibt Anna Amalia zuliebe und um für das Land positiv wirken zu können. Goethe verhält sich devot zu Fritsch. Er bemüht sich um Reformen, verkleinert beispielsweise das Heer von 600 auf 300 Soldaten. Dennoch sind die Widerstände enorm, so dass Goethe gegen 1785 resigniert. Sinngemäß meint er: Wer sich mit der Administration abgibt, ohne ihr Herr zu sein, ist ein Schelm, ein Narr …
Der Herzog bleibt ihm freundschaftlich verbunden. Und auch sonst festigt sich allmählich seine Stellung im Land an der Ilm. Charlotte von Stein wird seine große Liebe. Freunde stellen sich ein, Herder ohnehin, den er ja nach Weimar geholt hatte. Es entwickeln sich Freundschaften zu Wieland (später abkühlend), Knebel, zum Kreis um Anna Amalia, zu Einsiedel, zum Hoffräulein von Göchhausen (die den „Urfaust“ abschreibt und somit überliefert). An Charlottte schreibt er, wie lieb ihm das Land inzwischen geworden ist. „Es kamen mir Tränen in die Augen“.