Vortrag von Dr. Elke Richter, Weimar, am 6. Oktober 2015
Im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar und des Goethe- und Schiller-Archivs geben Georg Kurscheidt, Norbert Oellers und Elke Richter Goethes Briefe – Historisch-kritische Ausgabe – heraus. Dabei umfasst der dritte Band, herausgegeben von Georg Kurscheidt und Elke Richter – die Briefe zwischen 8. November 1775 bis Ende 1779.
Es gibt 1770 Briefe Goethes an Charlotte von Stein, davon 1600 im ersten Weimarer Jahrzehnt. Die Briefe sind seit 100 Jahren im Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrt. Der Hauptteil ist in sieben Konvoluten überliefert. Die Briefe sind chronologisch geordnet. Sie wurden 1896 von der Familie Stein für 75 000 Reichsmark erworben. Es handelt sich um einen sehr wertvollen Bestand. Nur 90 Briefe sind von Charlotte erhalten. Dass Goethe ihre anderen Briefe verbrannt habe, dafür gibt es keinen Beleg. Erst in den 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts setzten Bemühungen ein, Charlotte von Stein auch als eigenständige Person wahrzunehmen. Dies ging einher mit der Entdeckung ihrer literarischen Werke, denn sie war auch Schriftstellerin.
Als Hoffräulein diente sie bei Herzogin Anna Amalia. 1764 schied sie aus dem Hofdienst aus. Ihre Ehe verlief nicht ganz ohne Liebe. Zwischen 1764 und 1774 gebar sie sieben Kinder, vier starben bereits als Säuglinge.
Goethe wurde anfangs argwöhnisch betrachtet, seine Freundschaft zum Herzog angefeindet. Allerdings war sie eifrige Leserin des „Werther”. Der Schweizer Arzt Johann Georg Zimmermann übernahm die Mittlerrolle zwischen ihr und Goethe. Am 7. Januar 1776 schrieb Goethe an Charlotte einen Brief: über ihre „lieben Briefe, die mich peinigen.” Später schrieb er ihr allerdings nur noch selten Briefe, da beschäftigte er für seine Korrespondenzen schon Sekretäre. Goethes Briefe an Charlotte waren in der Art eines Fidibus gerollt und eingefaltet. Er verfällt der „Billet-Krankheit”, schreibt mitunter zweimal am Tag. Von Anfang an herrschte ein vertrauter Ton. „Liebe” kommt mehrfach und auch unterstrichen vor. Ende Januar 1776 schreibt er ganz offen von seiner Liebe, von „Engel” und „Gold”. Er wechselt zum vertraulichen Du. Im März scheint sie ihm dies verwiesen zu haben, was ihn verstimmt.
Kleinere Verstimmungen treten immer wieder auf. Goethe stellt zeitweise die Korrespondenz ein. Immerhin hält das Werben bis März 1776 an. In ihrem Werk „Rino”, dessen Figurendarstellerin autobiografische Züge aufweist, erkannte Goethe sich in der Titelfigur wieder. Die Spitze war gegen ihn gerichtet.
Ab dem zweiten Halbjahr scheint die Stein jedoch ihre Zurückhaltung aufgegeben zu haben. Sie besuchten den Hermannstein bei Stützerbach. Bei dieser Gelegenheit fertigte er zwei Zeichnungen von der Höhle am Hermannstein und vom Stützerbacher Grund.
1777 nehmen die versöhnlichen Briefe zu, aber der Ton wird ruhiger. Häufiger werden auch die Kinder erwähnt. Diese Phase endet 1777 mit der Reise in den Harz. Über das Ziel seiner Reise ließ Goethe die Stein im Unklaren. Goethe suchte in den wilden Bergen, so auch bei seiner Beschäftigung mit dem Kupferschieferbergbau in Ilmenau, von seiner stillen Traurigkeit Abstand zu gewinnen. Sämtliche Briefe an Charlotte aus seiner voritalienischen Zeit gehören zu den sprachlich schönsten. Hier tauchen auch Bibelworte und antike Allegorien auf, verschmelzen miteinander. Nach der Rückkehr von der Harzreise im Dezember 1779 festigt sich die Beziehung zu Charlotte, doch die grundlegende Ambivalenz bleibt.
Im selben Jahr nimmt auch die Intensität des Briefwechsels wieder zu, trotz seiner Amtsgeschäfte. Während der Reise mit dem Herzog in die Schweiz (1780) schreibt er an sie seitenlange Briefe. Sie sind erstmals datiert und von Goethes Sekretär Philipp Seidel aufgeschrieben. Zwischen 1775 und 1779 sind 561 Briefe Goethes überliefert, davon 346 an Charlotte. Während der italienischen Reise ist dieser Anteil ebenso groß. Nach Monaten intensiven Schreibens kommt es jedoch zu ebenso langen Pausen. Oft reichen „Zettelgen”. Daneben gibt es „Gedichtbriefe” und lange Reiseberichte. Aber viele Briefe aus der Schweiz gelten nicht allein Charlotte, manche sind auch zur Weitergabe an Dritte bestimmt.
Die Briefe offenbaren den gemeinsamen Grundzug emotionaler Verbundenheit mit der Adressatin, dies ist auch später noch der Fall, wenn er sich verletzt oder zurückgewiesen fühlte.
Seine Beziehung zu der verheirateten Frau verstieß nicht zwangsläufig gegen die Konvention, da die Ehen nicht wie im heutigen Sinne gelebt wurden. Man lebte zuweilen nicht zusammen, sie waren weniger innig als heute. So wiesen Goethes Briefe nicht enden wollende Liebesbeteuerungen auf, da diese Beziehung für ihn lebensnotwendig war. So ist die Liebe eher in einer umfassenden, existenziellen Bedeutung zu sehen. Oft werden auch kleinere Geschenke übersandt. Auch Charlotte schickt Geschenke. Aber auch viele andere Themen spielen eine Rolle. Beispielsweise Zeichnen als Mittel der Weltaneignung. Dazu fordert Goethe seine Charlotte immer wieder auf, immer wieder zeichnet er für die Freundin.
Charlotte ist ihm auch eine wichtige Gesprächspartnerin auf literarischem Gebiet. Sein Publikum in den Weimarer Anfangsjahren bestand ja nur aus einigen Freunden, darunter Charlotte. Es gibt auch Gedichte an sie: „An den Mond”, „Wanderers Nachtlied”. Fließende Übergänge von Brief zu Lyrik stellen sich ein. Dabei vermeidet er aber Exaltiertheit. Nicht mehr Gefühlsüberschwang kennzeichnen diese Briefe, sie sind in einfacher, aber eindringlicher Form gehalten. Es bleibt aber bei ständig sich wiederholenden Liebesbekenntnissen, es gibt metaphorische Bezüge, Anklänge an die Bibel.